Alexander der Große
und betäubt zu werden. 43
Bei Plutarch spiegelt sich die Sicht der Vulgata. Diese hatte offenbar Alexanders Trinkverhalten mit dem von ihr vermuteten
Wandel vom griechisch-makedonischen König zum persischen Despoten in Verbindung gebracht, den sie in dem Anspruch auf göttliche
Ehren und der Übernahme persischen Hofzeremoniells sah.
Die Abkehr von heimischen Tischgebräuchen ging demnach mit der Aufgabe panhellenischer Zielsetzung sowie der Annäherung an
die Perser einher. Bei Curtius fällt die entsprechende Kritik am König genau mit dem Abschluss des gemeingriechischen Rachefeldzugs
zusammen, dessen sichtbarer Ausdruck, die (nach seiner Meinung) trunkene Einäscherung des persischen Königspalastes, bereits
erstes Symptom der neuen Krankheit war:
Ungeheure Gaben besaß Alexander, Anlagen, die ihn über alle Könige stellten […] Alle diese Tugenden aber schwanden dahin vor
seinem unfassbaren Verlangen nach Wein. Während sein Feind und Widersacher gerade jetzt zu erneutem Kampf um die Krone rüstete,
gab er sich […] am hellen Tag Gelagen hin, an denen auch Frauen teilnahmen. 44
Konsequent leitet Arrian dann auch seine Schilderung der Ermordung des Kleitos mit dem Hinweis ein, Alexander habe sich damals
immer stärker barbarischen (das heißt persischen) Formen des Trinkens zugewandt. 45
|55| Tatsächlich sind aus den ersten Jahren des Zuges kaum Exzesse bekannt. Von einem gemeinsamen Trinkgelage mit Kelten, auf die
Alexander am Unterlauf der Donau traf, berichtet Ptolemaios, 46 und in Phaselis an der kleinasiatischen Südküste erwies er in einem nächtlichen Umzug mit seinen Gefährten dem dort aufgestellten
Denkmal des Dichters und Dramatikers Theodektes, wie er Schüler des Aristoteles, seine weintrunkene Referenz. Das alles verlief
offenbar im Rahmen des bei makedonischen Festbanketten Üblichen. Von Philipp II., Alexanders Vater, war die Öffentlichkeit
einiges gewohnt. Er sei jeden Tag betrunken gewesen, empörte sich der Historiker Theopomp, den Philipp nach Pella eingeladen
hatte, und füllte sein Werk über ihn mit allen möglichen Alkoholgeschichten. So soll Philipp auch den Sieg von Chaironeia
mit einem orgiastischen Umzug durch die Reihen der geschlagenen Gegner gefeiert haben. Trinken gehörte offenbar zur makedonischen
Kriegführung wie lakonische Kommentare zu derjenigen der Spartaner. 47
Alexanders alkoholische Eskapaden scheinen, jedenfalls soweit sie seines Vaters würdig waren, erst mit der Eroberung von Persepolis
zu beginnen, sich in der Zeit der Kleitos- und Kallisthenes-Katastrophe zu steigern und im letzten Jahr nach der Rückkehr
aus Indien ihren Höhepunkt zu finden. Die
Ephemeriden
, die tagebuchartig politische und militärische Vorgänge, aber auch das Hofleben registrierten, vermitteln in ihren allerdings
ganz spärlichen Fragmenten einen Eindruck von den Gelagen in den letzten Tagen des Königs. Bis zur völligen Erschöpfung trank
Alexander im Trinkwettstreit mit seinen Offizieren, die, wie der einschlägig bekannte Proteas, angeblich ohne Zögern Becher
mit drei und mehr Litern Wein auf die Gesundheit des Königs in einem Zug leerten. 48 Der einzige im Wortlaut erhaltene Satz der Ephemeriden, von dem die Feinde des Königs genüsslich behaupten sollten, er sei
„oft und immerfort“ im Journal zu finden, hieß schlicht: „[Der König] schlief den ganzen Tag aufgrund eines Trinkgelages.“
Die zweithäufigste Notiz beschränkte sich dann auf drei griechische Wörter: „[…] und auch noch den nächsten Tag.“ 49
|56| Der neue Dionysos
Alexanders wachsender Alkoholkonsum hatte nichts mit persischen Gebräuchen zu tun. Das war lediglich eine billige Erklärung
der Gegner in Griechenland. Das neue Trinkgebaren war Ausdruck eines sich allmählich abzeichnenden Scheiterns, Signal einer
beginnenden Verzweiflung, Zeichen einer fortschreitenden Vereinsamung, die sich der König weder eingestehen wollte noch konnte.
Nach Persepolis gab es kein neues Programm, Ziele wurden nur etappenweise ausgegeben, jegliche Art sinnvollen Planens war
abhanden gekommen. Alexander isolierte sich zunehmend – ebenso von seinen Generälen wie seinen Soldaten, die nicht verstanden,
warum sie im persischen Reich herumirrten, dessen Ostgrenze schließlich nicht Halt, sondern Station war. Er überwarf sich
mit den griechischen Beratern, fand nicht zur neuen persischen Elite, argwöhnte das Weiterbestehen einer innermakedonischen
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