Alexander der Große
endet, wie sie begonnen hat: mit einem Mord. Der erste, an Philipp II., ist historisch, der zweite,
an seinem Sohn, ist Legende. Der Mörder Philipps, ein makedonischer Adliger, war bekannt, 20 000 Menschen hatten ihn im Theater von Aigai gesehen, als er den König vor den Augen der Leibwächter niederstach. Über den
vermeintlichen Mörder Alexanders kursierten nur Gerüchte. Das Wesen des Giftanschlags ist seine Heimlichkeit. Sie erst ermöglichte
die wunderbarste Fiktion unter den vielen, die Alexanders Biographie erst zum Lesestoff machen. Sie ist keine Phantasiegeburt
des spätantiken Alexanderromans, in dem nur noch der Name des Helden authentisch ist, sie entstand nur wenige Jahre nach dem
Ereignis, für das sie die Erklärung bietet.
Erfunden hat die Mär nicht Kleitarch, der immer ein Rad des |87| Schicksals sah, bereit sich zu drehen; sie gehört vermutlich Alexanders Mutter Olympias selbst oder ihrer Umgebung. Die Fabel
ist in ihren Details so passend und in ihren Motiven so stimmig erdichtet, dass es verwundert, dass nur wenige Historiker
(wie Iustin) sie glaubten. Zudem ist sie originell weitergesponnen und führt in einer Kippbewegung zu einem Ende, das sich
Olympias, wenn sie die Urheberin war, nicht vorstellte.
Der Hintergrund ist wie bei fast allen Legenden, die in den ersten Jahrzehnten nach dem Tod Alexanders in die Welt kamen,
der Kampf der Nachfolger. In Europa hatte Alexander Antipater als Statthalter zurückgelassen. Seine Loyalität stand zunächst
nicht infrage. Erst Alexanders neue Reichskonzeption, in der Makedonien nur noch ein Randstaat war, ließ eine Kluft entstehen,
die Olympias mit ständigen und massiven Beschwerden über Antipater noch erweiterte.
|88| Die Reserviertheit, mit der Alexander seinen Mann in Europa bald betrachtete, verrät sich in der Einschätzung einer Leistung,
auf die Antipater stolz war. Als er den Aufstand des Spartanerkönigs Agis niedergeschlagen hatte, tat Alexander die Gefahr
mit einem Wort ab: „Mäusekrieg“. Antipater durfte mit Recht nichts Gutes ahnen, als er 324 den Befehl erhielt, sein Amt aufzugeben
und sich bei Alexander in Asien einzufinden. Der Tod des Königs, der die Abberufung obsolet machte, wurde so für Antipater
zum Glücksfall. Olympias’ Vorwürfe, die sie wenige Jahre später erhob, er habe Alexander ermorden lassen, konnten auf Glauben
stoßen. In der Zwischenzeit nämlich war der Streit um das makedonische Erbe entbrannt, Antipater und – nach seinem Tod – sein
Sohn Kassander standen gegen Olympias. Olympias kämpfte mit Intrigen, Mord und geschickten Anschuldigungen. Antipater habe
den Anschlag ersonnen, Kassander das Gift nach Babylon gebracht, dessen Bruder Iolaos Alexander das Gift kredenzt. Die Einzelheiten
schienen zu passen: Antipater hatte Zugang zu diesem ganz speziellen Gift, Kassander reiste 324/323 nach Asien, Iolaos war
königlicher Mundschenk. Wie zum Beweis ließ Olympias das Grab des Iolaos öffnen und die Gebeine herauswerfen. Auch nach seinem
Sieg über Olympias hatte Kassander in Makedonien noch mit den Verleumdungen zu kämpfen und suchte sie, so gut es ging, durch
Zensur zu unterdrücken.
Der Verleumdungsfeldzug Olympias’ fand auch eine Erwiderung. Ein anderer Diadoche, Antigonos Monophtalmos (der „Einäugige“),
ging zur propagandistischen Gegenoffensive über. Mit Blick auf die von Alexander beherrschten griechischen Städte bejahte
er den Mord an Alexander und stilisierte ihn zur Befreiungstat. Damit trat ein ganz neuer Täter ins Licht der Öffentlichkeit,
ein Mann, der zu Antipater beste Beziehungen hatte, und nach der Hinrichtung seines Neffen Kallisthenes auch ein Motiv gehabt
haben könnte: der Philosoph Aristoteles.
Auf den Verdacht, dass es sich um eine Vergiftung handeln könne, kam vorerst niemand. Erst sechs Jahre später erging eine
Anzeige. |89| Sie soll Olympias Anlass gegeben haben, viele Leute hinrichten und sogar die Gebeine des inzwischen verstorbenen Iolaos aus
der Ruhe des Grabes herausreißen zu lassen, weil er Alexander den Gifttrunk gereicht habe. Manche wollen wissen, Aristoteles
habe Antipater zu diesem Schritt geraten, überhaupt sei durch ihn das Gift beschafft worden. Für diese Behauptung berufen
sie sich auf einen Menschen namens Hagnothemis, der erzählte, er habe es vom König Antigonos gehört. Nach dieser Erzählung
war das Gift eiskaltes Wasser, das wie ein feiner Tau aus einem Felsen bei Nonakris
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