Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
sich, nicht wahr?«
Pythias atmete durch die Zähne. » Nein– jedenfalls nicht so. Sie bittet mich, dir zu sagen, daß du lieben kannst, wen immer du willst, ohne ihre Liebe zu verlieren; solange du daran denkst, daß der Sohn eines Königs Vorbild sein und selbst Söhne zeugen muß.«
Alexander nickte wieder. » Die Liebe meiner Mutter?« Sein Gesicht war ebenso gelassen wie seine Stimme; es war, als spräche er vom Wind, von Holz, von Wasser. » Nun ja, die Liebe meiner Mutter. Sie braucht sich keine Sorgen zu machen; ich weiß, was ich Makedonien schulde. Makedonien, nicht Olympias. Der Sohn eines Königs und einer Königin hat seine Eltern in Dankbarkeit zu ehren; auch ohne Liebe, notfalls. Olympias hat mir immer gesagt, was und wie ich zu denken, zu reden, zu handeln, mich zu kleiden und zu ernähren habe. Sie wird mir nicht vorschreiben, wen ich warum lieben soll, darf und kann; oder wen nicht.«
Aristoteles und Pythias hatten andere Sorgen, in diesem Sommer. Antipatros selbst kam nach Mieza, ohne Gefolge, um die schlimme Nachricht zu überbringen. Er kam abends an, erfrischte sich ein wenig, fühlte sich aber danach immer noch unwohl, wie es schien.
Sklaven hatten einen kleinen Tisch und bequeme Scherensessel auf die Terrasse am Hang gebracht, oberhalb der Gebäude. Es gab Brot, eingelegte Oliven, Salzfisch, Feigen, Lammfleisch, kydonische Äpfel, Birnen, Waldbeeren, Wein und Wasser. Rechts und links hatte man große Fackeln in den Boden gerammt. Es war windstill; sie brannten stetig, erfüllten die Luft mit dem Ruch von Harz und Pech und zogen Mücken und anderes Kleingetier an, das folglich die Speisen und die Speisenden nicht belästigte. Die Sonne war längst hinter dem Berg versunken; ein letzter Widerschein färbte den Osthimmel über dem Tal. Einige Jungen trieben sich noch auf dem Platz vor den Gebäuden herum, planschten mit Wasser oder sprachen in Zweier- und Dreiergruppen miteinander. Nach und nach wurde es stiller, als immer mehr in den Schlafhallen verschwanden.
Antipatros hatte darum gebeten, Alexander hinzuzuholen. » Der Sohn des Königs wird Philipp bald einen Teil der Pflichten abnehmen müssen; besser, er wird nicht länger von den unerfreulichen Dingen ferngehalten.« Mit Zustimmung von Antipatros nahm auch Nikanor an diesem Abendmahl teil. Er war fünfzehn Jahre alt, wie Alexander; die beiden verstanden sich gut. Nikanors Eltern stammten aus Stageira, dem Heimatort von Aristoteles, den Philipps Truppen vor sieben Jahren ebenso zerstört hatten wie Olynth und andere chalkidische Städte. Sie waren nach Aloros gezogen; die Jugendfreundschaft zwischen Aristoteles und Nikanors Vater hatte die Jahrzehnte überdauert. Im Frühjahr war die Mutter gestorben, nach langer Krankheit; wenige Wochen später auch der Vater, als das Schiff, mit dem er von Aloros nach Samothrake reiste, in einen Sturm geriet und sank. Pythias und Aristoteles hatten den Sohn der toten Freunde, der ohnehin als Schüler in Mieza weilte, als Pflegesohn angenommen, an Stelle jener eigenen Kinder, die das Schicksal oder die Götter ihnen verweigerten.
» Du sagtest, Alexander wird…?« sagte Pythias.
Antipatros hatte ausnahmsweise den Helm abgenommen; er fuhr sich mit der Hand über den kahlen Schädel. Sein Gesicht, eben noch entspannt und beinahe fröhlich, legte sich in kummervolle Falten. In wenigen Jahren würde er sechzig werden; seine Bewegungen waren immer noch flüssig und energisch, aber nun sah man ihm plötzlich das Alter an.
» Er wird– wenn nicht wundersame Dinge geschehen.«
Alexanders Hand, die sich nach einer Feige ausstreckte, sank zurück, auf den Tisch, dann in den Schoß. » Warum?«
Antipatros betrachtete ihn offen und nickte langsam, als ob der Anblick ihn befriedigte. » Ich weiß nicht, was ihr hier oben erfahrt…«
» Zuviel von der einen Sache und zu wenig von der anderen.« Aristoteles grunzte leise. » Meinst du Euboia?«
Die Insel, im Vorjahr von makedonischem Gold, makedonischen Freunden und makedonischen Truppen unter Parmenion eingenommen, stand wieder auf der Seite Athens: Das von Demosthenes geschaffene Bündnis und die Krieger Athens hatten die kleinen makedonischen Besatzungen vertrieben.
» Aber sie gehen nicht weiter.« Antipatros klang grämlich. » Wir hatten erwartet, daß sie nun auch in Hellas, auf dem Festland, nach Norden vorstoßen. Sie tun es nicht, sie warten ab. Deshalb werden wir im nächsten Jahr die Dinge tun, die wir schon letztes Jahr hätten tun
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