Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
können.« Er griff nach dem Becher. » Und dafür brauchen wir alles, was wir aufbieten können. Die Festungen im Kernland werden nicht aufgelöst, aber verkleinert; wir können es uns nicht leisten, auf ausgebildete Kämpfer und gute Offiziere wie Kleitos zu verzichten. Wahrscheinlich«– er seufzte, kniff ein Auge zu und schielte in den Becher– » muß auch der alte Antipatros ins Feld ziehen. Parmenion an einer Stelle, Philipp an einer anderen, Antipatros an einer dritten. Dann, Sohn meines Herrn und Freundes, wirst du entweder an Philipps Seite in den Kampf ziehen, oder du wirst die Dinge in Pella in jenem Gleichgewicht halten müssen, die gute Herrschaft ausmacht und guten Kampf ermöglicht.«
Alexander schwieg; Pythias betrachtete ihn und sah, daß seine Augen glänzten.
» Aber das ist nicht alles. Leider.« Antipatros setzte den Becher ab, legte die Hände auf den Tisch und blickte zwischen Pythias und Aristoteles hin und her. » Wappnet euch, o meine Freunde, denn es gibt eine betrübliche Nachricht für euch.«
Pythias faltete die Hände im Schoß; Aristoteles beugte sich vor. » Sprich.«
Antipatros seufzte. » Ungern– aber deshalb bin ich gekommen. Hermias…« Er räusperte sich. » Dein Oheim und Pflegevater, Pythias, dein Freund, Aristoteles, unser Verbündeter… Jemand hat von den Dingen erfahren.«
» Von welchen Dingen?« Alexanders Stimme klang hell und metallisch.
» Es gab ein geheimes Abkommen«, sagte Aristoteles tonlos. » Ich habe es in die Wege geleitet, Parmenion hat es ausgehandelt. Wenn es zum Krieg zwischen Makedonien und Persien käme, zwischen deinem Vater, Junge, und dem Großkönig, dessen Satrap Hermias ist, dann hätte Hermias deinem Vater alles zur Verfügung gestellt – Häfen, Straßen, Vorräte, Gold, Kämpfer. Und?«
Alexander kaute auf der Unterlippe; seine Augen suchten Pythias, dann Aristoteles, schließlich Antipatros.
» Dazu bin ich gekommen«, wiederholte der alte Makedone leise. » Jemand hat alles erfahren; wir wissen nicht, wer es war, noch auf welchem Weg. Der Großkönig wurde… man hat es ihm mitgeteilt, und er hat Mentor geschickt, den Rhodier. Hellene gegen Hellene, wie üblich, im Dienst der Perser. Mentor hat Hermias gefangengenommen; soviel wir wissen, hat er ihm nahegelegt, sofort alles zu gestehen. Dann, so soll Mentor gesagt haben, › dann kann ich dich jetzt, hier und heute, ehrenvoll töten– oder töten lassen. Gift, Schwert, Lanzen, was du willst.‹ Aber Hermias war ein tapferer Mann, er hat nichts gesagt. Und deshalb mußte Mentor ihn den persischen Fürsten übergeben, die in der Nähe waren.« Antipatros streckte die Hand aus, legte sie auf Pythias’ gefaltete Hände; seine Stimme klang brüchig. » Sie haben ihn tagelang gefoltert, aber er hat geschwiegen, bis in den Tod. Tapfer, aber so nutzlos. Sie wußten ohnehin alles.«
Pythias schloß die Augen. Aristoteles berührte ihre Schulter, sanft, beinahe furchtsam. » Nicht nutzlos«, sagte er heiser; er räusperte sich. » Nicht nutzlos. Tugend ist niemals nutzlos. Sie ist immer sinnvoll, auch wenn sie keinen Zweck verfolgt. Ohne Hermias’ Aussage haben die Perser nur die Behauptung eines Verräters, eines Spitzels, was auch immer. Sie haben nichts, was es ihnen erlauben würde, Philipp der Kriegsvorbereitung zu bezichtigen. Früher oder später wird es, muß es zum Krieg kommen. Artaxerxes hat sein Reich wieder stark gemacht; vielleicht stärker, als Persien je war. Er herrscht von den Grenzen Indiens bis nach Ägypten, bis hinauf nach Troja, bis zur Meerenge, an deren anderem Ufer Byzantion liegt. Er wird Hellas angreifen, sobald es ihm sinnvoll erscheint. Und dies ist der unmittelbare Nutzen, den die Tapferkeit des Fürsten von Atarneus hat: Sie hat Artaxerxes keinen Vorwand für einen sofortigen Angriff geliefert; sie hat Philipp und uns allen, allen Hellenen, Zeit verschafft. Zeit, die wir nutzen müssen.«
» Wenn wir nur wüßten«, knurrte Antipatros.
Nikanor war hinter Pythias getreten und hatte die Arme um ihren Hals gelegt. Aristoteles lehnte sich in seinem Sessel zurück und starrte in die Zweige, hinauf zu den Sternen. Alexanders Stimme berührte ihn wie ein Peitschenhieb; er zuckte zusammen.
» Wer nimmt persisches Gold für den Kampf von Hellenen gegen Hellenen? Wem nützt es, Persien und Makedonien in den Krieg zu treiben, zu einem Zeitpunkt, da Artaxerxes bereit ist und wir nicht? Wen stärkt es? Wollen wir Athen sagen, oder gleich
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