Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
den Häusern auf eine ebene, felsige Stelle westlich von Laomedons Haus. Am Rand fiel der Hügel steil ab, zu steil sogar für Ziegen; lediglich einige Stachelbüsche, die Laomedon zufolge im Herbst rötliche Beeren trugen, konnten sich dort halten. Die weite, zerklüftete Trichterlandschaft erstreckte sich vom Fuß des Hügels gen Norden, durchsetzt von immer wieder versickernden Wasserläufen, gesprenkelt mit Buschgruppen. Der Weg, den Demaratos gekommen war, schlängelte sich zwischen Trichtern, Sträuchern, Wäldchen und grünen Flächen zuerst nach Westen, dann nach Süden und verschwand in einer Schlucht. Gegenüber der Terrasse zog sich am Fuß eines graugrünen, schrundigen Berges ein seltsamer Morast in Schlangenlinien dahin. Das ganze Land wirkte wie eine uralte, aber noch nicht vernarbte Wunde, unbestimmbarer Körperteil eines insgesamt schorfbedeckten verdrossenen Titanen, dessen fortdauernde geistige Abwesenheit das Überleben von Menschen eben noch zuließ.
Der genau im Westen ragende Berg, über dem die Sonne immer schneller sank, beunruhigte Demaratos einen Moment; plötzlich fiel ihm ein, woran er ihn erinnerte, und er brach in Gelächter aus.
Erigyios blickte ihn verdutzt von der Seite an; er breitete Felle über die Schemel und den für Demaratos bestimmten Scherenstuhl. » Was hast du?«
» Der Berg, drüben.« Demaratos deutete, wieherte, hielt sich die Seiten. Im Abendlicht besonders scharf umrissen schien dort ein Kopf aufzuragen, das Profil mit klumpiger Nase, fliehendem Kinn und dünnen Bartfransen nach Norden gerichtet.
» Na ja, ein Gesicht, aber was ist daran so witzig?«
Demaratos ließ sich in den Sessel plumpsen. » Ihr könnt es nicht wissen, fürchte ich.« Er gluckste abermals. » Bis auf Alexander– oder?«
Alexander schüttelte den Kopf. » Ich weiß nicht, was du meinst.«
» Aber du warst doch in Athen! Ah, ich vergesse, daß er sich sehr zurückgehalten haben dürfte, als du da warst. Das da drüben ist ein getreues Abbild des unübertroffenen und unerträglichen Demosthenes.«
Beim Essen schwiegen sie zunächst; die Verbannten genossen den Wein, den Demaratos mitgebracht hatte. Nur Alexander trank kaum davon; er aß auch spärlich. Die Illyrerinnen saßen ein wenig abseits und unterhielten sich leise in ihrer groben Sprache. Demaratos war verblüfft über die Güte und Reichhaltigkeit des Mahls. Es gab süßliche, vergorene, mit Mehl angedickte Ziegenmilch, in der trockene Beeren vom letzten Herbst schwammen; in Öl gesottene Bällchen aus Hirse, Kräutern und gehacktem Fleisch; etliche frische, gebratene Flußfische, zu denen die von Alexander bereitete Tunke wunderbar schmeckte; ein ganzes gebratenes Zicklein; Frühlingszwiebeln; eingelegte Gemüsearten, deren Namen Demaratos nicht kannte; mit Honig gebackene hauchdünne Brotfladen; Ziegenkäse; dazu Wein und Wasser.
Schließlich seufzte Demaratos zufrieden auf, leckte sich die Finger, wischte sie am Chiton ab, rülpste und sah die jungen Männer der Reihe nach an. Harpalos, mit feinem, ausrasiertem schwarzen Bart, trotz seiner Behinderung ebenso drahtig und geschmeidig wie die anderen, erwiderte den Blick mit ausdruckslosem Gesicht. Erigyios blinzelte und zupfte an seinem rechten Ohr, in dem ein kleiner Silberring mit baumelndem Löwenköpfchen steckte. Laomedon tupfte sich die fleischigen Lippen und verzog ein wenig das Gesicht; die von einem Messerstich verbliebene Narbe auf der rechten Wange krümmte sich. Ptolemaios hatte die Arme verschränkt und drei Finger der Rechten an Kinn und Wange gelegt. Nearchos saß gerade und schaute an Demaratos vorbei, wie die abweisende Statue eines mit entlegenen Gedanken befaßten Rechtsgelehrten. Alexander, die Hände hinterm Kopf gefaltet, blickte in die Ferne, ins Blut des Himmels über der Stelle, wo die Sonne versunken war.
» Ich lobe eure bemerkenswerte Zurückhaltung.« Der Korinther lächelte. » Es ziemt sich so, für Fürstensöhne und treffliche Krieger. Nur wer sich selbst beherrscht, kann andere leiten.«
Ein kleiner Muskel zuckte im Gesicht von Ptolemaios, der einen Moment seine langen Eckzähne entblößte. Alexanders Augen zeigten immer noch den sehnsüchtigen, fernen Blick.
» Ihr werdet euch denken können, daß ich nicht ohne Botschaften und Aufträge in diese barbarische Einöde komme. Aber laßt mich auf meine Weise beginnen. Die wichtigen Dinge zuerst.«
Er nippte an seinem Wein, schloß die Augen und berichtete vom Herbst und vom Winter in Pella, von
Weitere Kostenlose Bücher