Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
sie den Gruß der Posten, die den Zutritt von der Treppe her bewachten, mit einem Nicken und einer kleinen Grimasse, stieg die Treppe hinab ins erste Stockwerk, mußte wieder an Wachen vorbei und ließ sich zu Antipatros bringen, der in seinem großen, kargen Arbeitsraum über Rollen und Täfelchen brütete.
» Willst du diese unhandlichen Dinger nicht endlich abschaffen?« sagte sie statt einer Begrüßung.
Antipatros hob die Schultern und deutete auf einen Scherenstuhl. » Setz dich, Fürstin. Nein, warum? Sie sind billiger als Papyros, wir können Geld sinnvoller ausgeben als für Einfuhren aus Ägypten, außerdem sind die Wachstafeln mehrfach verwendbar. Was führt dich her?«
Sie reichte ihm die Rolle; Antipatros überflog sie.
» Dein werter Onkel«, sagte er gedehnt. » Ich weiß nicht, ob seine vielfältigen, ah, Unternehmungen unbedingt Philipps Beifall finden. Woher weißt du das alles?«
Olympias stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte und das Kinn auf die verschränkten Hände. » Viele Dinge hört man eben einfach so nebenher. Beiläufige Bemerkungen, aus denen sich später ein ganz anderes Bild zusammensetzen läßt.«
Antipatros grunzte; er nahm ein neues Schreibried, kaute an einem Ende herum, bis es zum Pinsel zerfaserte, tunkte es in das kleine bronzene melandocheion, das frisch geriebene, mit Wasser verdünnte schwarze Tinte enthielt, und unterstrich einige Wörter, einmal eine halbe Zeile. » Die illyrische Gesandtschaft muß nichts bedeuten«, sagte er dabei halblaut. » Das sind seine wie auch unsere Nachbarn. Aber daß Arybbas offenbar beginnt, sich eines Teils seiner– deiner– Verwandtschaft zu entledigen, betrübt mich ein wenig.«
Olympias lächelte. » Das hast du liebevoll gesagt. Betrüben. Philipp wäre vermutlich äußerst betrübt, wenn meinem kleinen Bruder etwas zustieße, nicht wahr?«
Antipatros rieb sich die Nase, mit Daumen und Zeigefinger. » Arybbas ist Onkel und Vormund, mehr nicht, aber auch nicht weniger. Er soll Epeiros lenken, bis Alexandras alt genug ist, um König zu werden. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.«
Olympias stand auf. » Wenn ich etwas tun kann…«
Antipatros legte das Ried beiseite. » Du bist eine kluge Frau. Kluge Helfer gibt es nie genug. Aber nach den Erfahrungen mit Philipps Mutter… ich kann ohne seine Einwilligung nicht bestimmen, wie weitgehend du Einblick in wichtige Belange erhalten darfst.«
Sie verzog das Gesicht. » Wir müssen es mit ihm bereden. Wo ist er jetzt? Wann kommt er zurück?«
» Er und Parmenion besuchen die südlichen Festungen und Vorratslager. Du weißt schon…« Er grinste.
» Ja, in der Nähe von Methone.«
» Es wird sicher noch zwanzig Tage dauern, bis sie wieder herkommen.«
» Ich brauche einen Ort, an dem ich… Dinge tun und Personen empfangen kann, ohne beobachtet zu werden.« Olympias machte eine weit ausladende Armbewegung. » Das hier ist fast noch schlechter geeignet als der Palast mit den hundert Wachen.« Der kleine Tempel, in dem Aristandros sich aufhielt, wenn er nicht am Hof war, stand auf einem Hügel am Flußufer; die Wege dorthin führten durch Felder oder durch den Sumpf und waren von weit her zu beobachten.
Aristandros beugte sich vor und stocherte im Kohlenbecken; es zischte und stank. Die beiden bescheidenen Wohnräume, die zum Tempel gehörten, waren aus kaum verputzten Bruchsteinen gebaut: kalt und klamm.
» Welche Dinge und Personen, daß du nicht beobachtet werden willst?« sagte der Seher, ohne von der Glut aufzublicken.
» Verschiedene.« Olympias kaute auf der Unterlippe; dann biß sie ein Hautfetzchen von einem Nagelbett ab. » Dinge zum Beispiel, von denen nicht ganz Pella wissen muß.«
Aristandros, noch immer vorgebeugt, hob den Kopf; sein Nacken färbte sich dunkelrot. » Ich wüßte einen Platz… Aber er ist eigentlich den Mysten vorbehalten.«
» Kabiroi? Isis? Orpheus?«
» Dionysos.«
Olympias machte eine wischende Handbewegung. » Du vergißt, ich bin Priesterin. Ein Mysterium mehr oder weniger…«
Aristandros keckerte. » Das sagst du so. Meinst du, der König wird es billigen, wenn die Herrin Makedoniens zur Mainade wird?«
» Philipp wird noch vieles billigen müssen…«
» Ah.« Aristandros richtete sich endlich auf. » Nach allem, was aus dem Palast zu hören war, seid ihr euch doch bestens einig.«
Olympias lächelte; einen Moment verlor sich ihr Blick in der Ferne. » Das stimmt. Aber Einigkeit bedeutet nicht unbedingt Verzicht auf eigene
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