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Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Titel: Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Schänke drängt, daß Parmenion bei ihnen ist. Daß Parmenion, der große listige Parmenion, sie seit Durchquerung des wichtigen Tempe-Tals, des einzigen bequemen Zugangs nach Thessalien, sich selbst überlassen hat. Er hört es, glaubt es nicht, kann es nicht begreifen. Braucht denn das ruhmreiche Heer den Führer nun nicht dringender als je zuvor? Wer soll sie aufrichten?
    In der Nacht irrt Emes durch die Stadt, dann– immer noch in Regen und Finsternis– hinaus zum Strand, wo die Krieger durchnäßte Zelte errichtet haben, im nassen Sand liegen oder um zischende, bestenfalls glimmende Feuer aus feuchtem Holz hocken. Sie trinken bitteren Wein, mit Brackwasser versetzt, und essen die letzten Vorräte. Emes schleicht durch das Lager, das keines ist, nur ein Durcheinander; er spürt, daß keiner einen Zwölfjährigen willkommen heißen würde, und sei er auch noch so kräftig gewachsen; daß man mit einem Zwölfjährigen scheußliche Dinge gegen seinen Willen tun würde; daß wie die zischende Glut der Feuer im zertrümmerten Heer die Bereitschaft zu Gewalt und Verbrechen glimmt, üble Frucht von Niederlage, Mühsal und Enttäuschung. Die edlen Offiziere schlafen in Häusern in der Stadt; die edlen Reiter sind mit dem König nach Pella gezogen; die einfachen Kämpfer, Söhne von Bauern und Arbeitern und Handwerkern, aus den Dörfern, Bergen und Städten Makedoniens, murmeln von Aufruhr und Brand.
    Irgendwo zwischen den Zelten hört Emes jemanden sagen, Parmenion sei allein, irgendwo am Rande des Lagers; ein anderer sagt, er sei nicht allein, sondern habe sich in die Stadt begeben; ein dritter behauptet, er zeche mit einigen Söldnern. Emes schleicht weiter und findet den Strategen, allein, am Rand des Lagers, wo der Strand in den Morast der Ebene übergeht. Parmenions Pferd, verschlammt wie der Feldherr, sucht Grashalme im Dreck. Parmenion sitzt auf einem Stein, die Arme verschränkt, und blickt nach Osten, wo über dem Meer bald die Sonne aufgehen wird; schon kann man die Umrisse der Dinge erkennen.
    Emes hat gehört, aber nicht geglaubt, daß Parmenion alle Kämpfer seines Heers mit Namen kennt. Er tritt zu dem Strategen; wie aus dem Boden geschossen stehen plötzlich zwei Bewaffnete neben ihm, Söldner, Kreter vielleicht oder Rhodier.
    Parmenion winkt ab; sie verschwinden. Mit zusammengezogenen Brauen betrachtet er den großen, starken Jungen, der stumm vor ihm steht: ein aufrechtes Stück Schlamm, die Erde Makedoniens. Dann lacht er.
    » Du bist gewachsen, kleiner Emes. Und du kommst in einer schlechten Stunde.«
    Emes öffnet den Mund, schließt ihn wieder, fuchtelt mit den Händen, deutet schließlich auf das verschlammte Reittier. » Laß mich dein Pferd striegeln, Parmenion.«
    » Bis du alt genug bist zum Kämpfen, Junge?«
    » Ja.«
    Der Stratege nickt; Emes geht zum grasenden Pferd, reißt Halme aus, macht ein Büschel und beginnt das Tier abzureiben. Von irgendwo taucht einer der Söldner auf, gibt ihm einen nassen Fladen Brot und ein paar Schluck wäßrigen Wein aus einer Feldflasche.
    Als es heller wird, sieht Emes die Söldner: harte, unbeugsame Männer, die am Rand des Morasts in Furchen, zwischen Sträuchern, hinter Steinen und Bodenwellen geschlafen haben, unsichtbar und immer bereit. Als es heller wird, hören sie den Lärm aus der Stadt und sehen, wie die verstreuten entmutigten Kämpfer vom Strand nach Aloros hineinlaufen. Parmenion sitzt reglos auf dem Stein; er wartet. Als in Aloros die ersten Flammen zu sehen sind, steht er auf, hält sich an der Mähne seines Pferdes fest, tritt in Emes’ verschränkte Hände und steigt auf. Die Söldner bilden vier Reihen und folgen ihm wie Emes, der sich verloren vorkommt, bis einer der Männer ihm einen Lederschild und einen Kampfspeer reicht.
    Die Stadt ist in den Händen der Krieger; ein Teil der Bewohner scheint geflohen zu sein oder verbirgt sich. Drei Gebäude, an der Agora, stehen in Flammen– Häuser, in denen makedonische Offiziere übernachtet haben. Die Kämpfer räumen unversehrte Häuser leer, in der Nähe des Platzes; drei Offiziere baumeln von Dachbalken, mit Seilen am Hals, fünf weitere stehen, von Speeren durchbohrt, an Pfosten gebunden. Neben ihnen, zeternd und flehend, drängen sich die Verwalter und königlichen Beamten der Stadt, von Kämpfern zusammengetrieben.
    Parmenion reitet auf die Agora, gefolgt von den schweigenden, grimmigen Söldnern, in deren Reihen Emes einen Platz gefunden hat. Der Lärm, das Geschrei, die

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