Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
oder zweimal zu den Jörgensens gekommen.«
»Gab es Streit?«
»Und wie! Durchs geschlossene Fenster hat man’s gehört! Nicht dass Sie denken, ich würd lauschen. Da hat man nicht lauschen müssen, so wie die zwei sich angebrüllt haben.«
»Worum ging es dabei?«
»Der Ratko hat irgendwas nicht recht gemacht. Oder er hat sich zu viel Zeit gelassen dabei. Der ist nämlich nicht so ein Fleißiger wie die Iva. Vielleicht ist es auch um Geld gegangen. Der Ratko hat hinterher gern ein bisschen mehr verlangt, als vorher ausgemacht war.«
»Können Sie sich erinnern, wann das war?«
Frau Weberlein sah auf die Knie, die unter ihrem taubenblauen Rock hervorlugten.
»So genau weiß ich das jetzt natürlich auch nicht mehr.«
»War es gleich, nachdem Herr Jörgensen aus Asien zurückwar, oder erst später?«
»Später. Der Herr Jörgensen ist ja schon seit Anfang April da. Erst hat man gedacht, wieder nur für ein paar Tage. Aber dann ist er einfach nicht mehr abgereist, und da hat man gemerkt, der bleibt jetzt wohl für immer. Man erfährt ja nichts von denen. Sie reden ja nicht mit einem. Und er hat auch schon krank ausgesehen, das ist mir aufgefallen. Seine Laune ist mit jeder Woche schlechter geworden. Es hat dann öfter mal Geschrei gegeben, da drüben. Und nicht nur mit dem Gärtner.«
Chantal machte plötzlich kehrt und verschwand.
»Könnte es sein, dass dieser Streit zwischen Ratko und Herrn Jörgensen war, kurz bevor Tim verschwunden ist?«
»Möglich.« Sie nickte ratlos. »Aber beschwören möcht ich’s lieber nicht.«
»Hat Ratko Herrn Jörgensen bedroht?«
»Schon. Anders kann man’s nicht sagen. Ja, er hat ihn bedroht.«
»Was genau hat er gesagt?«
»Dass er sich nicht wundern soll, wenn mal was passiert.«
»Sie können mir vermutlich nicht sagen, wo Iva und Ratko wohnen?«
Sie machte eine vage Handbewegung in Richtung Westen. »In Kirchheim draußen, hat sie mir mal verraten. Aber ich glaub, am Ende, da haben die auch gar nicht mehr zusammengewohnt. Der Ratko, na ja …«
Sie machte eine Geste, als würde sie ein großes Glas an den Mund setzen.
»Er trinkt?«
»Und die Iva hat manchmal ganz schön schlimm ausgesehen.«
»Er hat sie verprügelt?«
»Diese Südländer sind halt oft so temperamentvoll, gell.«
Die Kaffeemaschine stieß ihren letzten, blubbernden Seufzer aus. Es roch nach frischen Brötchen und feuchtem Hund.
»Hat Iva eigentlich auch einen Nachnamen?«
»Bestimmt.«
»Aber Sie wissen ihn nicht?«
»Warum fragen Sie nicht einfach die Frau Jörgensen? Wie geht’s ihr überhaupt?«
»Besser. Aber sie ist noch nicht ansprechbar. Sie muss noch eine Weile im Krankenhaus bleiben.«
»Schaffen eigentlich alle bei der Polizei am Samstag?«
»Nur die besonders Fleißigen.«
»Mein Neffe, der Achim, der überlegt nämlich, ob er zur Polizei gehen soll, wenn er irgendwann mal sein Abitur hat. Ist schon zweimal sitzengeblieben, und da haben wir gedacht, Beamter, das wär vielleicht was …«
»Vielleicht kommen wir noch mal kurz zu Iva zurück. Haben Sie nicht irgendeine Idee, wie ich sie finden könnte?«
Frau Weberlein dachte lange und ernsthaft nach. Der Hund hatte sich zu meinen Füßen zusammengerollt und schlief, wobei das hoch stehende Ohr hin und wieder zuckte. Chantal hatte irgendwo im Haus einen Fernseher eingeschaltet und guckte lautstark die Simpsons.
»Sie hat eine Freundin!« Über Frau Weberleins Gesicht ging ein Leuchten. »Genau, die hat sie nämlich manchmal mit dem Auto gebracht. Zimperlich ist sie ja nicht, die Iva, da kann man nichts sagen. Die kommt auch mit dem Rad, wenn’s regnet oder schneit. Aber manchmal, wenn’s gar zu arg war, dann hat sie sich bringen lassen. Von ihrer Freundin. Möchten Sie nicht doch einen Kaffee?«
»Können Sie diese Freundin beschreiben? Haben Sie sich zufällig das Autokennzeichen gemerkt?«
Frau Weberlein starrte betreten auf meinen Mund.
»Ein blaues Auto war’s, das weiß ich noch. Ein kleines. Die Nummer ist von hier, glaub ich. Aber ich hab sie ja nicht so oft gesehen, diese Freundin. Höchstens so zwei- oder dreimal. Eine Schmale ist sie, das muss man sagen. Mit roten Haaren. Und Zöpfen, ja, genau, Zöpfe hat sie. Wie die Pippi Langstrumpf. Aber ohne Sommersprossen.«
Blaues Auto, rote Zöpfe, keine Sommersprossen. Ich hatte schon präzisere Personenbeschreibungen gehört. Aber auch schlechtere.
»Eine letzte Frage noch.« Ich stand schon in der Haustür, als mir ein Gedanke kam. »Sie sagten, Frau
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