Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
Jörgensen würde ihr Haus so gut wie nie verlassen.«
»In letzter Zeit lässt sie sich sogar die Lebensmittel bringen.«
»Bei meinem letzten Besuch habe ich einen Mantel an der Garderobe hängen sehen. Der war feucht vom Regen.«
»Die Rosen«, erwiderte sie abfällig. »Sie geht jeden Tag mindestens einmal zu ihren Rosenbüschen. Egal, wie das Wetter ist. Sonst rührt sie ja keinen Finger für ihren Garten. Früher, wie die alte Frau Gernhardt noch gelebt hat, da hat’s da drüben anders ausgesehen, das können Sie mir glauben. Aber jetzt verlottert alles. Nur an ihren Rosen, an denen hat sie irgendwie einen Narren gefressen.«
28
Während der Fahrt zurück in die Stadt – es war noch nicht einmal halb zehn – wählte ich die Nummer unserer Telefonzentrale und bat eine verschlafen klingende Kollegin, die spärlichen Daten von Ivas Freundin über den Funk zu geben. Mein zweiter Anruf galt dem Krankenhaus und brachte das befürchtete Ergebnis: Muriel Jörgensen war für mich bis auf Weiteres nicht zu sprechen. Nach meinem gestrigen Besuch hatte sie einen Kreislaufkollaps erlitten. Die Ärztin klang besorgt. Schließlich versuchte ich noch, Pretorius zu erreichen. Aber sowohl im Büro als auch unter der Privatnummer meldeten sich nur die Anrufbeantworter. Ich bat auf beiden um Rückruf.
Kurz darauf gab es einen ersten, kleinen Erfolg.
»Sie suchen eine Frau mit roten Zöpfen?«, fragte eine knurrige Männerstimme am Telefon. »Mit einem kleinen, hellblauen Skoda?«
»Die Marke weiß ich nicht. Klein und blau ist richtig.«
Der Anrufer betrieb einen Imbissstand in Rohrbach, Ecke Karlsruher- und Römerstraße, und zu seinen treuesten Stammkunden zählten die Besatzungen einiger unserer Streifenwagen, erzählte er mir widerwillig.
»Und Sie kennen die Frau, die wir suchen?«
»Drüben steht ihr Auto. Vorhin ist sie beim Bäcker gewesen, Brötchen kaufen. Aber jetzt ist sie wieder daheim. Falls sie wegfahren will, soll ich sie festhalten?«
»Es reicht völlig, wenn Sie sich das Kennzeichen merken.«
Über Nacht war die Temperatur unter null gefallen. Ein eiskalter Ostwind pfiff, und man erwartete jeden Augenblick die ersten Schneeflocken. Die Pfützen am Straßenrand waren gefroren, eine einsame Zeitung drehte vor Willy’s Wurstbude ihre Kreise. Willy selbst, mit dem ich vor einer knappen Viertelstunde telefoniert hatte, war so dürr, dass ich mich unwillkürlich fragte, wie jemand bei seinem Anblick Appetit auf die nicht einmal so übel aussehenden XXL-Currywürste entwickeln konnte. Die Schürze, die zweimal um ihn herumpasste, war verblüffend sauber. Dazu trug er eine Intellektuellenbrille, und er machte den Eindruck eines gescheiterten Philosophiestudenten auf mich.
Willy wischte hinter seiner Theke herum und vermied es hartnäckig, mir in die Augen zu sehen. Als ich meinen Namen nannte, nickte er nur und wies mit einer beiläufigen Geste auf den kleinen Skoda, der schräg gegenüber unter dem Vordach einer aufgegebenen Tankstelle parkte.
»Das Eckhaus«, brummte er, als wollte er mich loswerden. »Dritter Stock links.«
Die Frau, die ich suchte, wohnte in einem viergeschossigen, gesichtslosen Mietshaus aus den Zeiten der kriegsbedingten Wohnungsnot.
»Ich seh sie hin und wieder auf dem Balkon, wenn sie Wäsche aufhängt«, fügte Willy hinzu. »Und im Sommer sonnt sie sich manchmal oben ohne, falls man Glück hat.«
Auf mein »Tschüss und danke« antwortete er mit resigniertem Achselzucken. Ich überquerte die Straße. Den handgeschriebenen Namen an der Klingel entzifferte ich als A. Sereno. Ich drückte den Knopf, und es dauerte keine Sekunde, bis der Türöffner summte. Ich war froh, ins Warme zu kommen.
Innen roch es nach frischer Farbe.
»Huch«, sagte die Frau, die mich am oberen Ende der Treppe erwartete, bei meinem Anblick. Sie sah tatsächlich ein wenig aus wie eine erwachsene Pippi Langstrumpf ohne Sommersprossen. »Ich dachte, Sie sind der Maler!«
Die roten Zöpfe baumelten unter einer verwegenen Baseballmütze hervor. Und sie hatte doch einige Sommersprossen, wenn man genauer hinsah. Als ich meinen Dienstausweis zeigte, wurde ihr Blick für einen winzigen Moment unruhig, und sie wich einen halben Schritt zurück in die Sicherheit der eigenen vier Wände.
»Was kann ich für Sie tun?«
»Es geht um Iva.«
»Was ist mit ihr?«
»Ich würde mich gerne mit Ihnen über Ihre Freundin unterhalten. Aber vielleicht nicht gerade auf der Treppe.«
»Ich hab aber nicht viel
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