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Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht

Titel: Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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Offensive gehen. Auf keinen Fall dürfen wir uns von den Medien treiben lassen. Ich habe für elf Uhr eine Pressekonferenz anberaumt. Vielleicht sind wir heute ausnahmsweise vor den Eltern in den Nachrichten.«
     
    Ich formulierte eine knappe Erklärung für die Presse, verwarf sie wieder, bastelte eine neue, die noch mehr nach Rechtfertigung klang als die erste. Dabei gab es ja nichts zu rechtfertigen. Wieder und wieder ging ich meine Gedächtnisprotokolle durch. Hatte ich auch wirklich nichts vergessen? Nichts hinzuphantasiert? Nein, ich hatte mir nichts zuschulden kommen lassen. Einem begründeten Verdacht war ich nachgegangen, mit aller gebotenen Diskretion, weiter nichts. Ich hatte weder Zeugen beeinflusst noch Informationen durchsickern lassen. Ich hatte mir nicht das Geringste vorzuwerfen. Und dennoch wurde ich mit jeder Minute, die die Pressekonferenz näher rückte, unruhiger.
    Die Veranstaltung begann mit zehn Minuten Verspätung, da immer wieder Stühle gerückt und neue hereingeschleppt werden mussten, bis endlich jeder seinen Platz gefunden hatte. Liebekind begrüßte die unruhige Journaille mit angemessenem Ernst. Anschließend ergriff die Leitende Oberstaatsanwältin, Frau Dr. Steinbeißer, das Wort und gab einige Unverbindlichkeiten von sich, die nicht danach klangen, als gedenke meine vorgesetzte Behörde, sich vor mich zu stellen. Dann durfte ich meine Erklärung verlesen, und anschließend brach ein wahrer Tsunami von Fragen über mich herein.
    Niemand wollte wissen, was ich eben gesagt hatte. Niemand schien mir überhaupt zugehört zu haben. Kein Mensch machte mir irgendwelche Vorwürfe. Plötzlich ging es nur noch um die Eltern, die sensationellerweise über Nacht von bemitleidenswerten Opfern zu Mordverdächtigen mutiert waren. Die Meute warf sich wie im Blutrausch auf ihre unverhofft aufgetauchte neue Beute.
    Und jede zweite Frage war in Wirklichkeit eine Unterstellung.
    »Glauben Sie denn nun, die Leute haben ihr Kind ermordet, oder glauben Sie es nicht?«
    »Wir werden hier ja nicht fürs Glauben bezahlt. Im Augenblick denken wir nur über Verschiedenes neu nach. Schließlich müssen wir jede denkbare …«
    Meine letzten Worte gingen im Lärm unter. Blitzlichter gewitterten, die Scheinwerfer der Fernsehkameras blendeten mich und brachten mich noch mehr zum Schwitzen.
    »Aber Sie halten es schon für denkbar«, schrie eine junge Frau in den hinteren Reihen mit überkippender Stimme, »dass die Eltern ihr Kind mit voller Absicht getötet haben?«
    »Wir müssen grundsätzlich immer alles für denkbar halten«, sagte ich ins Mikrofon, dessen Lautstärke irgendein Idiot plötzlich hochgedreht hatte, damit mich auch wirklich jeder gut verstand. »Es ist unsere Pflicht, alles für möglich zu halten.«
    Ich wollte noch hinzufügen: »Aber natürlich halte ich persönlich diese Hypothese für absolut unwahrscheinlich.« Doch dazu kam ich nicht mehr.
    Die ersten rannten schon hinaus, Handys am Ohr, Laptops im Arm, um es noch in die Zwölf-Uhr-Nachrichten zu schaffen.
    Ich konnte sagen, was ich wollte. Richtigstellen, zurechtrücken, differenzieren, abwägen. Niemand hörte mir mehr zu.
     
    »Ich wäre Ihnen sehr verbunden«, sagte Liebekind mit tödlichem Ernst, als wir endlich wieder unter uns waren, »wenn Sie in Zukunft die Finger von diesem Fall lassen würden, lieber Herr Gerlach.«
    Sein »lieber« tat mir unglaublich gut.
    Er packte mich am Arm und hielt mich mit hartem Griff. »Das ist nämlich das Gute an der üblichen Aufgabenverteilung zwischen Chef und Mannschaft: Der Subalterne kann sich hie und da einen Fehler erlauben. Der Chef nicht, denn sonst ist er bald keiner mehr.«
    Ich sah ihm fest in die Augen und versprach, ab sofort artig zu sein und mich wie ein richtiger Kripochef zu gebärden und meinen Untergebenen nicht mehr ins Handwerk zu pfuschen.
    Um sieben Minuten vor zwölf ging die Meldung über die Nachrichtenagenturen: »Mordverdacht offiziell bestätigt. Heidelberger Kripo verdächtigt die Eltern, ihr angeblich entführtes Kind getötet zu haben.«
    Unsere Pressestelle verbreitete fast gleichzeitig die inzwischen in aller Hast formulierte Richtigstellung. Selbstverständlich gaben sich die Redaktionen, die den Unsinn bereits gesendet hatten, betroffen. Selbstverständlich würde man alles umgehend korrigieren, relativieren, ins rechte Licht rücken.
    Und natürlich bewirkte das alles nichts.
    Jeder hörte die sensationelle Nachricht. Aber wen interessierte Stunden später

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