Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
interessieren.«
»Ich bin ganz Ohr.«
»Aber bitte nicht am Telefon.«
»Sie wollen mich persönlich sprechen?«
»So ist es.«
»Meine Sekretärin wird Ihnen gern einen Termin geben.«
»Ich ziehe es vor, Sie an einem neutralen Ort zu treffen. Und ich denke, es ist auch in Ihrem Interesse, wenn wir es rasch hinter uns bringen.«
Wir verabredeten uns im Café Gekco am Ende der Bergheimer Straße. Mir passte die Unterbrechung ganz und gar nicht, aber etwas in ihrem Tonfall ließ mich einwilligen. Außerdem waren es von meinem Büro zum vereinbarten Treffpunkt kaum mehr als zehn Minuten zu Fuß.
Bevor ich mich auf den Weg machte, drückte ich, schon im Mantel, die Wahlwiederholung. Aber Frau Weberlein, die Nachbarin des angeblich verschwundenen Tim, war immer noch nicht zu Hause.
5
Ich war ein wenig außer Atem, als ich das Gekco betrat. Die Bergheimer Straße war länger als gedacht. Das Lokal war gut besucht, vor allem von jungen, schick gekleideten Menschen. Dennoch entdeckte ich die Anruferin sofort. Sie saß allein an einem runden Vierertisch links neben dem Eingang mit Blick durch eines der hohen Rundbogenfenster auf Straße und Bismarckplatz. Merkwürdigerweise sah sie genauso aus, wie ich sie mir nach dem Telefongespräch vorgestellt hatte.
Auch sie schien mich zu erkennen, denn sie erhob sich, kam mir jedoch keinen Schritt entgegen. Sie verdiente in jeder Hinsicht die Bezeichnung Dame. Ein wenig erinnerte sie mich an Theresa mit dem wallenden, rötlich schimmernden Blond, den beeindruckenden Augen, der stolzen Haltung. Sie war jedoch ein gutes Stück kleiner als meine Geliebte, schmaler und noch wesentlich teurer gekleidet. Ihr sandfarbenes, knielanges Kleid war aus glattem Leinenstoff und mit Sicherheit vom Schneider.
Wir reichten uns die Hand und nahmen Platz. Eine etwas schüchterne dunkelhaarige Bedienung mit rotem Schürzchen erschien und mühte sich ein Lächeln ab. Ich bestellte mir einen Tee, da ich heute schon genug Kaffee getrunken hatte. Ein Hauch eines gewiss sündteuren Parfüms umgab meine Gesprächspartnerin. Aus den Boxen an der Wand schrie Falco leise nach seiner »Jeanny«. Ein Lied, das mir auch unter anderen Umständen Gänsehaut machte.
»Was kann ich für Sie tun, Frau …?«
»Mein Name tut nichts zur Sache«, erwiderte sie mit klarer, auch bei gedämpfter Lautstärke voller Stimme.
»Wie Sie meinen.«
»Es geht um diese Leute, die ihr Kind vermissen.«
Faszinierend, wie viel Verachtung man in ein so harmloses Wort wie »Leute« legen konnte.
»Es gibt da etwas, was Sie wissen sollten.«
Mein Tee kam. Er war lauwarm. Die namenlose Dame schlug die Augen nieder, betrachtete für Sekunden mit dezent angewiderter Miene die saubere Tischdecke. Dann sah sie wieder auf.
»Es widerstrebt mir zutiefst zu tun, was ich nun tun werde. Ich denke aber, es könnte wirklich wichtig für Sie sein.«
»Vielleicht möchten Sie mir doch erst einmal Ihren Namen nennen? Es redet sich leichter, wenn man weiß, wen man vor sich hat. Ich garantiere Ihnen selbstverständlich absolute Diskretion.«
»Nein, das möchte ich nicht. Ich will da in keiner Weise hineingezogen werden.«
Wieder schwieg sie mit gerunzelter Stirn, kämpfte ein letztes Mal mit sich und ihrem Gewissen.
»Die Mutter des armen Jungen«, mit einem Seufzer nahm sie einen Schluck von ihrem Espresso doppio, »sie empfängt regelmäßig – nun ja – Herrenbesuche. Und das hat sie auch an dem Sonntag getan, als ihr Kind verschwand.«
»Wechselnde Herrenbesuche?«
»Nein.« Ihr Lachen klang nicht unsympathisch. »So schlimm ist es nun auch wieder nicht.«
»Und dass der Besucher am fünften August bei ihr war, wissen Sie auch nach so langer Zeit noch?«
»Ich selbst weiß überhaupt nichts. Meine Informationen stammen von einer guten Freundin. Sie wohnt ganz in der Nähe der Sanders und will … Nun ja, sie legt Wert auf gute Nachbarschaft. Aber als nun plötzlich dieser schreckliche Verdacht gegen die Eltern aufkam, hat sie sich mir anvertraut. Und ich habe es übernommen, mit Ihnen zu sprechen.«
Ein junges Paar am Nachbartisch brach in schallendes Gelächter aus, fiel sich dann in die Arme und begann, sich hemmungslos zu küssen. Ich konzentrierte mich wieder auf meine Gesprächspartnerin.
»Den Namen dieser Freundin werden Sie mir natürlich ebenfalls nicht verraten.«
»Sie sagen es«, erwiderte sie heiter.
»Und seit wann geht das schon, mit diesen Herrenbesuchen?«
»Seit Jahren.«
»Wie oft?«
»Zwei, drei
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