Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
Mal die Woche. Sie haben anscheinend keinen festen Tag. Hin und wieder kommt er auch am Sonntag, wenn die Luft rein ist. Unter der Woche ist der Junge im Kindergarten, oder sie kann ihn irgendwo unterbringen. Und sonntags muss das arme Kind dann eben zwei, drei Stunden allein draußen spielen, damit das Tête-à-Tête nicht gestört wird.«
»Und Ihre Freundin ist sich absolut sicher, dass der geheimnisvolle Mann am fünften August bei Frau Sander war?«
»Der Tag ist ihr Geburtstag. Sie hatte Gäste, und jemand hat sich geärgert, weil der Maserati des Herrn gleich zwei Parklücken blockierte.«
Ich unterdrückte ein Lächeln. Es würde mich keine zehn Minuten kosten herauszufinden, wer in der Nachbarschaft der Familie Sander an diesem Tag Geburtstag hatte.
»Kommt er immer noch?«
Sie leerte ihre Tasse zum Zeichen, dass das Gespräch sich seinem Ende näherte.
»Er parkt jetzt immer einige Straßen entfernt. Zwischen den Grundstücken gibt es parallel zu den Anwohnerstraßen einen schmalen Fußweg. Der kann von den meisten Häusern wegen der hohen Hecken nicht eingesehen werden. Viele haben hinten hinaus ein Törchen zu diesem ›Hexenweg‹, wie er genannt wird. Darunter auch die Sanders. Diesen Weg hat er schon früher immer genommen. Und deshalb denkt er wohl, niemand bemerke etwas von seinen heimlichen Hausbesuchen.«
»Das ändert zunächst nicht allzu viel«, überlegte ich. »Gut, das Kind war an dem Nachmittag anscheinend ohne Aufsicht.«
»Sie lügt, wenn sie behauptet, sie habe hin und wieder nach ihm gesehen. Frühestens um fünf ist der Maserati wieder verschwunden. Sagt meine Freundin.«
Ich lehnte mich zurück und legte die Fingerspitzen aneinander.
»Wenn das so stimmt, dann ist der Verdacht gegen die Mutter wohl gegenstandslos.«
»Dafür haben Sie ja nun einen neuen Verdächtigen«, erwiderte sie lächelnd. »Die beiden sind gerade hübsch bei der Sache, da platzt das Kind herein und macht Geschrei, der Mann dreht durch und …«
Das Paar am Nachbartisch war nicht mehr weit entfernt davon, zur Sache zu kommen. Ich nickte erst und schüttelte dann den Kopf. Meine geheimnisvolle Gesprächspartnerin erhob sich mit fließenden Bewegungen und reichte mir eine schmale, schmuckfunkelnde Hand.
»Und außerdem bleibt Ihnen ja immer noch der Vater. Was halten Sie von einem kleinen Eifersuchtsdrama?«
Natascha Sanders Techtelmechtel entlastete sie tatsächlich, überlegte ich auf dem Rückweg zur Direktion. Und vermutlich würde es neuen Ärger geben, wenn ich nun plötzlich nach ihrem Lover fahnden ließ.
Ich überquerte die Straße. Die frische Luft tat mir gut, stellte ich nebenbei fest. Allerdings hatte meine Gesprächspartnerin auch in einem zweiten Punkt recht: Was, wenn der Vater aus irgendeinem Grund zu früh von seiner Radtour zurückgekehrt war und seine Frau im Bett mit einem anderen ertappt hatte? Was, wenn er gar nicht erst losgefahren war, sondern sich irgendwo in der Nähe versteckt hielt, um seine Frau der Untreue zu überführen? In einem solchen Fall wird es in der Regel laut. Zu laut, als dass alle auf ihren Terrassen vor sich hin dösenden Nachbarn es hätten überhören können.
Ein leichter, angenehm kühler Wind ging, bunte Blätter segelten in eleganten Pirouetten vor meine Füße. Ein nicht mehr ganz junges, offenbar frisch verliebtes Paar radelte vorbei. Er lenkte, sie saß auf dem Gepäckträger, hielt ihn umklammert wie ein Äffchen und musste treten. Eine Straßenbahn hielt an der Haltestelle Römerstraße und entließ drei Fahrgäste. Niemand stieg ein.
Der Vater hatte auf seiner Tour durch den Nordschwarzwald angeblich mit niemandem gesprochen, kein bekanntes Gesicht gesehen. In dem Höhenrestaurant an der Schwarzwaldhochstraße, wo er zu Mittag gegessen haben wollte, konnte sich niemand an ihn erinnern, was jedoch angesichts des Trubels, der dort an schönen Sonntagen herrschte, niemanden wunderte. Aber kam er wirklich als Täter infrage?
Ich erreichte die Polizeidirektion, passierte den Haupteingang und nickte der blonden Frau an der Pforte zu. Sie nickte zurück und lächelte, als würde sie nicht mich meinen.
Sollte Gundram einer Trennung im Weg gestanden haben? Natascha Sander war ja offenbar in ihrer Ehe nicht so glücklich, wie sie die Öffentlichkeit glauben machen wollte. Vor Jahren hatte sie sich von ihrem Job als Model in ein Dasein als Mutter verabschiedet. Es waren nicht die großen Fotografen und Modejournale gewesen, die sie engagiert
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