Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
wiederholte den mutmaßlichen Familiennamen von Tims Tante zweimal.
»Und Sie möchten wissen, ob sich dort seit einiger Zeit ein vierjähriger Junge aufhält?«, fragte sie dezent verwundert.
»Ich dachte, wenn Sie als gebürtige Griechin mit den dortigen Kollegen sprechen, dann kommen wir bestimmt wesentlich schneller voran, als wenn ich ein Amtshilfeersuchen starte.«
»Ich bin in Dossenheim geboren, Herr Gerlach«, erwiderte sie heiter.
»Außerdem steigt mir so die Staatsanwaltschaft nicht aufs Dach, weil ich mich wieder mal um Dinge kümmere, die mich nichts angehen.«
Jetzt lachte sie, was nicht oft vorkam.
Ich ließ die Hand noch für einige Sekunden auf dem Hörer liegen. Mir war nicht wohl bei der ganzen Sache. Hoffentlich klärte sich alles auf. Hoffentlich war Tim Jörgensen nicht mein nächster Entführungsfall. Gewisse Ähnlichkeiten zum Verschwinden Gundrams waren nicht zu leugnen. Plötzlich war meine gestrige Nervosität wieder da.
Aber dann wurde mir klar, dass dieser Gedanke völliger Unsinn war. Weshalb sollte die Mutter behaupten, Tim sei bei ihrer Schwester, wenn er in Wirklichkeit entführt wäre? Weshalb sollte sie wochenlang schweigen und sich in ihrem Haus verstecken, wenn sie Angst um ihren Sohn hätte?
Dennoch wollte meine Nervosität an diesem Tag nicht mehr weichen. Irgendetwas war seltsam. Und sei es auch nur dieses sekundenkurze Flackern in Muriel Jörgensens Augen.
»Ein paar fehlen mir leider immer noch«, gestand Balke frustriert. »Manche Anrufe lassen sich aus technischen Gründen nicht zurückverfolgen. Und bei manchen haben wir von vornherein null Chancen. Bei denen zum Beispiel, die von einer Zelle angerufen haben.«
»Ich brauche diesen Zeugen, Herr Balke!«
»Was, wenn der Typ nie hier angerufen hat? Sondern einen Brief geschrieben hat, zum Beispiel? Oder wenn es an einem anderen Tag war?«
»Es ist nun mal unser Job, neunundneunzig Prozent unserer Zeit darauf zu verschwenden, das Falsche zu tun. Wenn wir immer alles vorher wüssten, dann wären wir alle arbeitslos.«
»Ich kann doch nicht die Telefonate von einer ganzen Woche durchgehen, verflucht noch eins!« Stöhnend sah Balke zur Decke. »Auf der Suche nach einer Stecknadel, von der wir nicht mal wissen, ob sie überhaupt existiert!«
Er betrachtete seine kräftigen und sonnengebräunten Hände und schnitt grimmige Grimassen.
»Wenn ich weiter nach diesem Typen fahnden soll, dann brauche ich Unterstützung, Chef. Allein ist das unmöglich zu schaffen.«
»Ich habe im Moment keine Leute frei«, entschied ich nach kurzem Überlegen. »Wir stoppen die Aktion erst mal. Und ich rede noch mal mit Pretorius und trete ihm ein bisschen auf die Zehen.«
Wie bei unserem letzten Gespräch setzten wir uns an den Besprechungstisch des Privatdetektivs. Zu meiner Überraschung war er auch dieses Mal sofort bereit gewesen, mich zu empfangen. Der Kaffee duftete verführerisch, aber ich verzichtete. Ich wollte mich nicht am Ende auch noch bedanken müssen, falls es schiefging.
»Was ist so wichtig«, begann Pretorius und schaufelte konzentriert drei Löffel Zucker in seine Tasse, »dass der Kripochef schon wieder meine Wenigkeit besucht?«
»Was wohl?«
Nachdenklich nippte er an seinem Espresso. »Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt, Herr Gerlach, und ich sage es gern ein zweites Mal: Ich kann in dieser Sache nichts für Sie tun. Der Mann hat mich gebeten, seine Identität nicht preiszugeben. Und das Ehepaar Sander wünscht außerdem keinerlei Kontakt mehr zur Polizei, seit Sie diesen Verdacht geäußert haben.«
»Ich habe nie einen Verdacht geäußert. Abgesehen davon wäre der Gedanke so ungeheuerlich ja nicht. Die Sanders wären nicht die ersten Eltern, die ihr Kind auf dem Gewissen haben und es später als vermisst melden.«
»Aber versetzen Sie sich doch bitte mal in die Lage der Leute! Die sind stinksauer auf Sie.«
Betont entspannt schlug ich die Beine übereinander.
»Ich habe keine Lust mehr auf Sperenzchen«, sagte ich ruhig. »Kommen wir zur Sache: Ich muss mit Ihrem Zeugen reden. Ich will seinen Namen nicht wissen. Er hat nichts zu befürchten. Aber ich will von ihm persönlich hören, was er gesehen hat.«
»Er ist Ihre letzte Spur, nicht wahr?« Um Pretorius’ schön geschnittenen Mund spielte ein winziges schadenfrohes Lächeln. »Es stand alles in der Zeitung, was er weiß. Ich habe mich lange mit ihm unterhalten. Mehr ist da wirklich nicht zu holen.«
»Möglicherweise hat er etwas
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