Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
war eine der Mütter, die ihre Kinder auch an sich drücken, wenn sie von oben bis unten voller Rotz und Dreck sind. Eine lebensstarke Frau mit rustikalem Gesicht und etwas verschlossener Miene. Verwirrt sah sie zwischen der Erzieherin und mir hin und her, als diese sie in ihr Büro bat. Ihren kleinen Sohn hielt sie an der Hand. Er sei schon vier, erklärte mir Josef Berger bereitwillig und mit neugierigen Blicken. Er trug eine Jeans mit zahllosen bunten Flicken und einen dunkelblauen Pulli, der ihm schon ein wenig zu klein war. Als ich mich zu ihm hinunterbeugte, um ihm die Hand zu reichen, lächelte er. Und als ich mich wieder aufrichtete, lächelte auch seine Mutter.
»Sie können aber mit Kindern, das muss ich schon sagen. Unser Josef ist nämlich nicht zu jedem so.«
Als sie hörte, ich hätte Fragen an sie, wurde ihre Miene unsicher. Nervös sah sie auf die Uhr. »Das ist aber jetzt grad schlecht. Mein Mann kommt um halb eins, und dann will er was auf dem Tisch haben.«
»Sie sind mit dem Wagen hier?«
»Nein, mit dem Rad. Wieso?«
»Ich könnte Sie ein Stück begleiten.«
Josef packte meine Hand und zog mich in Richtung Ausgang.
»Sonst ist er wirklich nicht so.« Frau Berger folgte uns kopfschüttelnd. »Zum Glück, muss man ja heutzutage leider sagen.«
»Ja, ja, die Sanders«, seufzte Alma Berger, als wir die Straße vom Kindergarten in Richtung Ortszentrum hinuntergingen. Sie schob ihr robustes und schon etwas in die Jahre gekommenes Dreigangrad mit Kinderanhänger, Josef tippelte tapfer neben mir her und ließ meine Hand nicht los.
»Die Mama vom Gundi hat einen ganz tollen BMW-Geländewagen!« Er sah mit leuchtenden Augen zu mir auf. »Und der Gundi hat sogar eine eigene Schaukel im Garten! Und eine Rutsche! Und im Keller haben sie ein Schwimmbad.«
»Du bist schon mal da gewesen?«
Er nickte eifrig. »Schon ziemlich oft. Aber jetzt nicht mehr. Seit die Mama nicht mehr für die Mama vom Gundi arbeitet.«
Frau Berger nickte. »Ich bin ein paar Jahre bei den Sanders gewesen. Bis letzten April. Dann … na ja, es hat ein bisschen Krach gegeben, und da hab ich gekündigt. Man kann’s ihr nicht leicht recht machen, der Frau Sander.«
»Ich würde gern ein wenig mehr darüber erfahren, wie es in der Familie zugeht. Die Dinge, die sonst nicht nach außen dringen.«
Eine Weile gingen wir schweigend nebeneinanderher. Josef zählte munter und ohne Neid auf, was es in Gundram Sanders großem Kinderzimmer an sensationellen Spielsachen zu entdecken gab. Die Sonne schien, als hätten wir Anfang September und nicht Ende Oktober. Trotz unseres gemächlichen Tempos kam ich bald ins Schwitzen.
Endlich öffnete auch Josefs Mutter den Mund. »Sie will halt immer alles perfekt«, sagte sie leise. »Alles muss immer perfekt sein, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Und wie ist das Verhältnis zwischen Herrn und Frau Sander?«
Wieder zögerte sie lange mit der Antwort. »Wissen Sie, ich hab schon in manchen Familien geputzt und gekocht. Und es gibt weiß Gott Schlimmere als die Sanders. Aber Schlimmere gibt’s ja eigentlich immer.«
Sie hustete und wischte sich die Nase mit dem Ärmel ihres schon ein wenig zerschlissenen Norwegerpullovers ab.
»Und das Kind?«
»Was soll man sagen …«
Wir erreichten die Hauptstraße und blieben an der Fußgängerampel stehen. Josef durfte den Knopf drücken und wollte gar nicht mehr damit aufhören. Ein dunkler Mercedes fuhr vorbei. Vom Rücksitz winkte ein rothaariges Mädchen mit Sommersprossen. Josef winkte zurück. Die Ampel schaltete auf Grün.
»Ich will’s mal so sagen«, fuhr Frau Berger fort, als wir die andere Straßenseite erreichten und der Fahrradanhänger auf den Gehweg rumpelte. »Ich möcht bei denen kein Kind sein.«
»Haben Sie je gesehen oder gehört, dass Gundram geschlagen wurde? Dass jemand von den Eltern aufbrausend war?«
»Der Mann, der kann schon mal grob werden. Aber welcher Mann kann das nicht. Er ist ja meistens in der Arbeit gewesen oder mit seinem tollen Rad unterwegs. Aber wenn er ausnahmsweise mal daheim war und es gab Streit, dann hat seine Frau ihm ordentlich Kontra gegeben. Und das ist eine richtige Giftspritze. Aber nach Backpfeifen hat’s eigentlich nie gerochen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Die Sanders, das sind so Leute, die können sich wehtun, ohne die Hände zu benutzen.«
Wir gingen die Hauptstraße entlang in Richtung Süden. Frau Berger fuhr sich wieder mit dem Ärmel über die Nase. Die Gangschaltung
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