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Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)

Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)

Titel: Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Schößlinge, allerlei Gesträuch –, bis nur noch eine graugrüne Fläche blieb, mit ein paar Stümpfen und hier und da helleren Felsbrocken. Es war ein nasser Winter gewesen; die Erde glich an vielen Stellen einem unermeßlichen Schwamm. Er erinnerte sich an das quaatschige Gefühl zwischen seinen bloßen Zehen, als er an jenem fernen Morgen den Westhang erstieg, um über dem östlichen Kamm die Sonne aufgehen zu sehen. Das alte Steinhaus der Familie lag außerhalb des Taleingangs, etwas erhöht, auf einer Felskante. Er stieg und stieg, durch die grauen Morgennebel, immer höher, durch lichten Wald – die Westseite des Tals war nicht abgeholzt worden; sie gehörte den Lagiden unmittelbar – hinauf zum Bergrücken, über den Nebel, in die klare Morgenluft. Im Osten war der Himmel bereits rötlich angelaufen, aber die Sonne stand noch unter dem Land. Als sein Atem sich beruhigte, das Pochen in den Ohren nachließ, bemerkte er die Stille – kein einziger Vogel, kein Tier. Wo waren die Schafe und Ziegen? Er sah nichts, obwohl zu seinen Füßen der Nebel dünner wurde, hörte weder Gesang noch Blöken, fühlte sich unbehaglich, wie in einem Angsttraum, bevor der Grund für die Angst erkennbar wird.
    Dann ging die Sonne auf, stieg, der Himmel wurde grüner und schließlich blau, der Nebel im Tal löste sich auf. Unten, winziger als Käfer, liefen ein paar Menschen von den Hütten zum Talausgang. Was wollten sie so früh beim Haus des Vaters?
    Ein tiefes Seufzen war zu hören, und immer noch kein Vogel. Dann schüttelte sich die Erde; Ptolemaios stürzte zu Boden. Es war nur ein kleiner Erdstoß, aber er reichte aus, den ganzen Osthang, abgegrast, abgeholzt, aufgeweicht, vom felsigen Untergrund zu lösen. Langsam, wie ein Schiff mit schwacher Brise aus dem Hafen gleitet, rutschte der Hang bergab. Die einzelnen Bäume bewegten sich nahezu hoheitsvoll, als schauten sie verächtlich auf alles hinab, und er erinnerte sich, daß er ein wenig gelacht hatte. Dann wurden sie schneller, kippten, rasten mit dem Hang auf die Hütten hinab, begruben alles.
    Damals hatte er zugesehen; jetzt ritt er den Hang. Die Erdscheibe war gekippt, Alexander hatte sie den Göttern entrissen, hatte die Oikumene und die Berge und das Meer in eine Schräglage gebracht, ließ die Flüsse bergauf schäumen, hatte den Erdrutsch losgetreten, der über die blankgescheuerten Gebeine der Welt schrappte und malmte, und dann hatte er sich an die Spitze gestellt, um die Richtung zu bestimmen. Es gab kein Halten, kein Absteigen, keine Ruhe; nur die Gewißheit, daß die rasende Bewegung nicht enden würde, solange Alexander auf dieser Weltwoge ritt, und vielleicht nicht einmal dann, wenn er – irgendwann – gestorben sein würde.
    Selbst der Stillstand, die Ruhe in Babylon war ein Traum, Gaukelei, Selbsttäuschung. Sie bewegten sich nicht im Raum, aber in der Zeit; sie galoppierten auf der Stelle, tanzten berauscht auf einer Nadelspitze. Nachschub kam, und Nachrichten, während die Vorhuten schon wieder aufbrachen; Myriaden Dinge gleichzeitig zu erledigen.
    Immerhin gelang es ihm hier, ein paar Briefe zu schreiben. An die Verwandten, an halbvergessene Freunde in einer anderen Welt, die ein Jahrhundert und hunderttausend Parasangen zurücklag. Und an Aristoteles, der wie üblich alles und ein bißchen mehr wissen wollte. Irgendwann unterwegs, vielleicht in Pelusion, oder Phönikien, oder Syrien, hatte ihn ein Schreiben des Philosophen erreicht – von Athen nach Kanopos, von dort nach Naukratis, von dort nach Memphis, von dort mit dem nächsten Nachrichtenschub dem Heer nachgesandt. Grüße, und ob er die genaue Anzahl der Quader der untersten freiliegenden Schicht der größten Pyramide sowie die Abmessung der Steine nennen könne; welche Farbe ihm vor das innere Auge trete, wenn er frisches Papyrosmark zerreibe und daran rieche; ob der Goldschmuck der Frauen von Siwah eingeführt oder von Handwerkern in der Oase verfertigt werde, und aus welchem Gold; in welchen Abständen eine Kamelstute brünstig werde, und wie sich dieser Zustand im Verhalten äußere ...
    Außerdem fragte er nach den bedeutendsten Sinneseindrücken, Erlebnissen oder Anblicken, sowie nach tausend Einzelheiten der Länder und Städte und Pflanzen und Arzneien. Ptolemaios hatte lange gezögert, ehe er sich zu einer Antwort aufraffte. Eigentlich war es der zweitgrößte Eindruck, aber er konnte ihn beschreiben – jenes grüne, satte, feiste Tal im phönikischen Hinterland, wahrhaft

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