Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)
Vier Jahre vor Alexanders Tod, drei Jahre nach dem Tod Parmenions, ein Jahr nach Kleitos’ Ermordung – die unglaubliche Erstürmung der Burg des sogdianischen Fürsten Ariamazes, in der auch der wichtigste noch freie Baktrer, Oxyartes, seine Familie untergebracht hatte. Bei der Erstürmung der Felsenburg waren mehr als dreißig Makedonen an den glatten, außerdem von Schnee und Eis bedeckten Hängen abgestürzt; zu denen, deren Leichen man nicht fand und nicht bestatten konnte, hatte Peukestas’ Vater gehört, Drakon, Heiler und einer der Lenker der geheimen Aufklärer.
Und nun hielt er einen Brief Drakons in der Hand, vermutlich kurz vor jener Erstürmung geschrieben, das letzte Lebenszeichen eines Toten. Peukestas warf einen Blick auf den sterbenden Philosophen; Pythias hatte ihn notdürftig gereinigt, diesmal ohne ihn zum Verlassen des Raums aufzufordern. Sie tat zweifellos wichtige Dinge in der Küche; Aristoteles lag auf dem Rücken, atmete flach und starrte an die Decke.
Peukestas las. Der Anfang des Schreibens, mit Gruß und dem Beginn der Dinge, fehlte. Ein unvollständiger Satz war der Anfang dessen, was Peukestas in der Hand hielt. Und bereits bei diesem halben Satz erstarrte Drakons Sohn.
»... des Ariamazes war keine dieser grausamen und sinnlosen Metzeleien, wie sie in letzter Zeit immer häufiger angeordnet und ausgeführt wurden. Er wollte die dort untergebrachten Verwandten der baktrischen Fürsten lebendig, als Geiseln. So hat er Übergabe und gute Behandlung angeboten. Der Vertraute des Ariamazes brach in schallendes Gelächter aus und sagte etwa dies:
›Fürst des Westens, der du durch den Osten irrst, betrachte den Berg. Er ist steil und abschüssig wie eine Wand, auf allen Seiten. Eine Stelle gibt es, von der du in die Burg hinabsteigen oder hinabspeien könntest, die Ostseite, aber sie ist die steilste von allen. Mein Herr läßt dir zweierlei sagen. Es gibt Nahrung für drei Jahre in der Burg, und eine reichlich fließende Quelle im Hang innerhalb der Mauern. Wenn du nicht drei Jahre in jammervoller Belagerung zubringen willst, zieh ab; denn wisse, nur geflügelte Krieger könnten die Burg einnehmen. Dies ist das erste, was mein Herr dir sagen läßt. Das zweite aber ist dies: Solltest du an einem der nächsten Tage einen Angriff wagen, so möge dieser Tag des Angriffs dein größter und strahlendster sein. Die Sonne und dein Ruhm mögen prächtiger glänzen denn je zuvor, und alles um dich soll herrlich und wunderbar sein. Weil es dein letzter Tag sein wird, Herr der Makedonen.‹
Alexander war in den letzten Monden oft unangenehm zu betrachten, ausgezehrt von Mühsal und gleichzeitig aufgebläht vom Wein; Du kennst derlei Anblicke, und sie sind bei einem König noch unersprießlicher als bei einem gewöhnlichen Sterblichen. In den vergangenen Tagen hatte er jedoch gut geschlafen, anstrengende Ritte zurückgelegt und kaum getrunken; als er die Worte des Boten hörte und lachte, war er wieder jener junge, mitreißende Führer, den alle geliebt hatten, und für Momente konnte auch ich die schwarzen Tage vergessen. Er sagte, für diese hochherzigen Worte wolle er Ariamazes ehren, nach der Gefangennahme, und entließ den Boten.
In der Nacht begann der Angriff, und es war ein Unternehmen, wie keiner außer Alexander es hätte ersinnen können. Perdikkas und seine Hopliten, unterstützt von Bogenschützen und Speerwerfern, griffen mit lautem Getöse, mit Fackeln und Leitern und Brandpfeilen die Vorwerke der Burg am Westhang an, natürlich ohne jede Aussicht auf Erfolg. Alexander selbst, Hephaistion und etwa dreihundert ausgewählte Kämpfer, denen der König hohe Belohnungen versprochen hatte, erklommen die beinahe senkrechte, verschneite und vereiste Ostseite, und zwar in dieser Weise: Die Männer nahmen neben Schwert und Speer dreierlei mit – Eisenpflöcke, Leinen und Hämmer. Die Pflöcke wurden in den Berg getrieben, die Leinen gespannt, die nächsten Männer kletterten nach und schlugen eine Mannslänge oberhalb der vorigen die neuen Pflöcke ein.
So stiegen wir – ich war dabei, da Philippos nicht schwindelfrei ist, der König aber nicht ohne Arzt in den Kampf gehen soll. Mehr als dreißig von uns stürzten ab, lagen zerschmettert oder gänzlich unauffindbar am Fuß des Hangs in der ostwärts ausgedehnten Schlucht. Während des Aufstiegs begriff ich, daß dies etwas war, worauf ich gewartet hatte.
Ich blieb ein wenig zurück, als die anderen den höchsten Hang erklommen und
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