Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
sich selbst gewesen. Eine Zeitlang hat er sich mit Drogen betäubt. Er hat das Zeug heimlich genommen, aber ich habe es immer gewusst. Er war auf Koks und hat das zurückgeführt auf sein Leben auf der Überholspur als Polizeireporter, der sich die Nächte um die Ohren schlägt, auf den Druck beim Boulevard. Blödsinn in meinen Augen. Er hat sich immer nur ausgeschaltet, um fern von sich selbst zu sein.«
»Und trotzdem seid ihr Freunde geblieben?«
Marcus seufzte und massierte sich den Nacken. »Ja, sind wir. Ich kann dir nicht sagen, warum. Auch Arschlöcher brauchen Freunde und jemanden, der Verantwortung für sie übernimmt, wenn sie es selbst nicht können. Vielleicht ist das der Grund. Deswegen ist es mir zuletzt auch so schwergefallen, mich von ihm zu distanzieren, und ich muss mich nun mal damit abfinden, dass er ist, was er ist, Alex, und dass ich mich immer in ihm getäuscht habe.«
»Und was ist er?«
»Der Böse, Alex. Und ich bin der, der ihn zur Rechenschaft ziehen muss.«
Alex schluckte. Es musste Marcus sehr schwergefallen sein, das zu akzeptieren. Sie konnte ihn gut verstehen. Zu begreifen, dass ein Mensch nicht das war, was man stets in ihm gesehen hatte, dauerte manchmal ein Leben lang. Aber irgendwann half es nicht mehr, die Augen zu verschließen und sich die Ohren zuzuhalten. Irgendwann kam der Punkt, an dem man handeln musste.
»Ich werde heute ein komplettes Marlon-Kraft-Paket schnüren«, sagte Marcus, ohne Alex anzusehen. »Ihr werdet es in Kopie erhalten. Dazu brauche ich auch deine Einschätzung, also das Täterprofil. Es ist für den Papierkram, den Staatsanwalt und alles. Wir werden heute mit Hochdruck alles auseinandernehmen, was wir an Kartons aus seiner Wohnung getragen haben. Reineking ist unterwegs, um Marlons Dienstrechner zu beschlagnahmen. Das wird für einigen Wirbel bei der
Neuen Westfalenpost
sorgen. Aber es ist nun mal so, wie es ist.« Er stellte den Kaffeebecher ab und drehte sich zu Alex um. »Wenn ich nur eine Ahnung hätte, wo sich der Scheißkerl versteckt hält. Ich hatte eigentlich gedacht, ich kenne ihn wie meinen eigenen Bruder. Tja. Man schaut den Leuten immer nur vor den Kopf.« Marcus’ Miene war wie versteinert, die Augen wie aus Glas. »Bis morgen will ich ihn haben, Alex. Ich werde diese Stadt abriegeln. Ich werde ihn mit Hubschraubern und Wärmebildkameras jagen. Ich habe eine Hundertschaft angefordert, die mir jeden Stein umdrehen wird. Ich will, dass die Bundeswehr auf ihren Übungsflächen hinter jeden Grashalm schaut und die Cow Killer von der Rheinarmee ihre Kampfdörfer auf links drehen. Bis morgen will ich ihn hier bei mir haben. In einer videoüberwachten Zelle. Und dann werden wir sehen, Alex, ob der Drache draußen trotzdem auftaucht oder ob er sich vor unseren Augen in einem der berühmten Marlon-Kraft-Blackouts zeigt.«
Alex schluckte und öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, schloss ihn aber wieder. Marcus’ Worten war nichts hinzuzufügen.
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52 .
D er Abend senkte sich über Lemfeld. Die Kirchturmspitzen leuchteten im warmen Licht der untergehenden Sonne. Ein lauer Sommerwind blies den Staub der Stoppelfelder in die Stadt, wo er sich wie eine zarte Decke auf die am Straßenrand stehenden Autos legte. Alex blickte von ihrem Tisch auf der Terrasse des Di Caprio auf und beobachtete zwei Jungs in Inlineskatern, die mit den Zeigefingern »Wasch mich« auf die Motorhauben der auf dem Parkplatz abgestellten Wagen schrieben. Dann widmete sie sich wieder den Zahnstochern, die sie nachdenklich auf der Tischdecke hin und her schob, bis sie vor dem dampfenden Espresso, einem Glas Bitter Lemon und dem noch vollen Salatteller ein Spalier bildeten.
Eine Melodie erklang.
Beverly Hills Cop.
»Hey.« Helen. Sie rief von ihrer Dienstnummer aus an. Alex war zu sehr in Gedanken gewesen, um die Düsseldorfer Vorwahl auf Anhieb in einen Zusammenhang mit ihrer Freundin zu bringen.
»Hey«, antwortete Alex matt.
»Alles klar bei dir?«
»Mhm. Ziemlich schwül hier. Es wird ein Gewitter geben.«
»Ich wollte nur mal hören, ob meine Hinweise dir weiterhelfen konnten.«
»Hinweise?« Alex runzelte die Stirn.
»Hallo? Horoskop, China, Tierkreis? Jemand zu Hause bei Stietencrons?«
Alex seufzte. »Da bin ich mir selbst nicht so sicher … Aber ich konnte damit etwas anfangen, du hast mich auf die richtige Spur gesetzt. Danke, Helen.«
»Na, na, nicht gleich ausrasten vor Freude. Aber sag mal, Schneewittchen, wir hatten hier diesen Mordfall
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