Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
Zigarettenkippen schwammen, herunterwarf. Es zerschellte auf den Kacheln.
Reaper. Er hatte nicht gelogen. Und jetzt Juliane Franck. Die Kleine aus dem Getränkemarkt. Sie hatte Marlon ihre Handy-Nummer gegeben, aber hätte sich vermutlich ohnehin niemals mit ihm getroffen, nachdem er sich, na ja, anschließend etwas danebenbenommen hatte. Trotzdem. Sandra. Juliane. Die Einschläge kamen näher.
Lasst euch nicht mit mir ein, Leute, der Sensenmann sitzt mir im Nacken, und er hat Hunger wie ein ausgewachsener Scheißdrache … Was für eine Story, Mann, die Story deines Lebens, haha …
Die Haare fielen Marlon ins Gesicht, und der Schweiß hatte unter den Achseln dunkle Halbmonde in den roten Stoff seines T-Shirts gezaubert. Das Bier aus dem heruntergefallenen Glas war auf die Turnschuhe gespritzt, eine Kippe hatte sich in dem Aufschlag der beigefarbenen Cargo-Hose verfangen, die ihm schlabberig auf den Hüften hing. Egal. Scheiß drauf.
Marlon versuchte weiter, den Wasserhahn in Gang zu bringen und gleichzeitig sein Spiegelbild zu fixieren, denn er wollte unbedingt wissen,
wie
dieser Mann aussah. Der Superstar-Reporter mit der heißesten Geschichte aller Zeiten, mit exklusiven Bildern und Eindrücken, nach denen alle sich die Finger lecken würden. Strahlend. Gigantisch. Master of the Universe.
Harry Angel. Genau der bist du. Harry Angel alias Johnny Favorite aus »Angel Heart«, und jetzt ist Zahltag, Baby, jetzt fordert der Teufel deine Seele …
Bullshit. Alles Bullshit. Zum Kotzen würde er aussehen. Alle Dämonen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft würden sich im Gesicht dieses Mannes spiegeln – zumindest, wenn es ihm gelänge, seinen Blick scharfzustellen und den milchigen Schleier vor seinen Augen zu durchdringen. Außerdem wankte dieser Mann wie ein Katamaran bei Windstärke zehn, und statt des Wasserhahns brachte er versehentlich den Trockner zum Laufen, wobei er sich fast die Hand verbrannte, als die heiße Luft hervorschoss.
Ummmbh. Ummmbh. Ummmbh.
Als die Tür zur Toilette aufging, wurde das Dröhnen für einen kurzen Moment zum lauten Basedrum-Wummern des Dance-Remix einer Snoop-Dogg-Nummer, zu der Curtis-Mayfield-Samples in hohem Falsett kieksten. Die Bass-Invasion brach mit zwei johlenden Betrunkenen herein, die sich selbst im Arm und Becks-Flaschen in den Händen hielten, um wieder zum verwaschenen Dröhnen zu mutieren, als die Tür zufiel. Die Besoffenen hatten Marlon angerempelt, ohne sich weiter um ihn zu kümmern. Wie konnte das sein? Wie konnten sie ihn nicht registriert haben? Wie konnten sie es sich herausnehmen, ungefragt und nicht angemeldet auch nur in seine Nähe …
»… hmbharghtzu hjmm … Alles klar, oder … Mhmjmmssiehs nicht gut aus …«
Marlon nahm all seine Kraft zusammen, schob die Brust nach vorne, die zig Kubikmeter Luft zu fassen schien und einen Umfang von mindestens einem Kilometer haben musste, und drehte sich zu der Stimme, die es gewagt hatte, ihn in einem Moment der Meditation und Selbsterkenntnis zu stören. Sein Blick fiel auf eine runde Brille, zu der ein rundes Bubigesicht und ein Pferdeschwanz gehörten. Es war nicht auszuschließen, dass es sich um substanzielle Bestandteile einer Person handelte, deren Gesicht ihm bekannt war, aber aus dieser Nähe völlig verschwommen erschien und daher nicht zuzuordnen war.
»Haaalloooo? Jemand zu Hause? Ich hab gesagt, dass du ziemlich scheiße aussiehst, Marlon.«
Das Gesicht war nach wie vor verwischt, aber die Stimme verlieh ihm Kontur. Das war Eddie. Fast Eddie, Eddyboy himself, und es war hervorragend, dass er hier war, geradezu magisch, wenngleich er wahrscheinlich bloß vom Pinkeln zurückkam oder endlich seine Fotos vom Abtransport der Leiche in der großen schwarzen Kiste gemacht hatte. Marlon wollte ihm von seiner Erkenntnis berichten, von seinem Moment der Klarheit auf dem Klo, in dem er zwar nicht alles, aber doch sehr viel begriffen hatte. Dass der Teufel kommen würde, um ihn zu holen, und dass sie beide ein Dreamteam waren, dass sie beide
es
hatten,
es,
das in der Einheit von Wort und Bild inmitten eines Raum-Zeit-Bewussteins-Kontinuum lag, das jenseits des Herkömmlichen und weit weg in metaphysischen Ebenen bar jeder Beschreibung zu finden war. Aber es gelang Marlon nicht, die tieferen Strukturen der globalen Dimension seiner erschütternden Entdeckung, ihr
wirkliches
und
schlussendliches
Ausmaß in Worte zu fassen. Stattdessen sagte er: »Mr.Ed, d-du … weissu was?«
Eddie
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