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Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Ross
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ihnen gesagt. »Um zu verhindern, dass das Paket übergeben wird.«
    »›Kaltstellen‹?«, hatte Renard gefragt.
    »Falls nötig, und um zu verhindern, dass unsere Interessen Schaden nehmen, muss Tom Wall sterben.«
    Wenigstens das hatten sie verstanden, und ihre Mienen hatten sich vor Vorfreude um einiges aufgehellt. Eine Schande, aber die Politik erforderte Opfer. Chilton trank seinen Wein aus und erhob sich vom Tisch. Keine Zeit, sich darüber noch länger Gedanken zu machen. Er hatte seine eigenen Aufgaben zu erledigen, die keinen Aufschub duldeten.
     
    Die Glocke über der Tür bimmelte, als Sondegger »Tudor’s Dry Cleaning and Pressing« betrat, von wo er das Waterfall observieren konnte. Die Glocke hatte den gleichen Ton wie die Pausenglocke in den Münchner Kammerspielen, was er als günstiges Zeichen für seinen anstehenden Auftritt nahm. Theater und Nachrichtendienst waren aufs engste miteinander verknüpft. In jungen Jahren war Sondegger nach Russland gegangen, um am Moskauer Künstlertheater zu studieren und einer von Stanislawskis Schülern zu werden. Bei Ausbruch des Weltkriegs war der deutsche Geheimdienst – die militärische Abwehr unter Major Nicolai, nicht die jetzige, verachtenswerte Organisation – nach einer Aufführung von Tschechows Kirschgarten an ihn herangetreten. War er dem Deutschen Reich gegenüber loyal? War er fähig? Und willens?
    Er hatte das Potenzial sofort erkannt, und von diesem Augenblick an lebte er in zwei Welten, zwei Bühnenwelten. Nichts war lehrreicher für die Schattenwelt der Geheimdienste als das, was für die Bühne gelehrt wurde. Stanislawskis neue Methode war Sondegger Inspiration: Wahrheit lasse sich nicht vom Glauben trennen, und Glauben nicht von Wahrheit; der Schauspieler benutzt Worte, um das, was er vor seinem geistigen Auge sieht, anderen zu vermitteln. Wer Erfolg haben wollte, musste sich selbst völlig preisgeben und bedurfte eines leidenschaftlichen Verlangens. Nach dem Weltkrieg und dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreichs wurde Nicolais militärische Abwehr für kurze Zeit aufgelöst. Aber Sondeggers Dienste waren nicht vergessen worden, und als er erneut berufen wurde, um zum Dienst am Vaterland auf die Bretter zu steigen, musste er nicht zweimal überlegen. Ein Schauspieler war nur so groß wie seine Rolle, und eine größere Rolle als diese war nicht zu bekommen.
    Er trat ins Tudor’s und schloss hinter sich sacht die Tür. Er machte zwei mögliche Ausgänge aus – linke und rechte Seitenkulisse – und wartete in der Schlange, um mit dem Angestellten zu sprechen. Er musste Tom umgehend finden. Kannte dieser den Ort der zweiten Mikrofotografie, würde er sie pflichtschuldig übergeben.
    Im perfekt ausgerichteten Spiegel hinter dem Ladentresen bekam er den Amerikaner zu Gesicht, der draußen mit einer Frau, die nur Lady Harriet sein konnte, vorüberging. Sondegger machte sich an seiner geliehenen Aktentasche zu schaffen und verließ den Laden gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Tom das Waterfall betrat. Er war mehr als erfreut über diesen glücklichen Zufall. Der Nachtclub allerdings war nicht unbedingt der geeignete Ort für sensible Operationen. Er würde am Ausgang auf Tom warten und dann zur Tat schreiten.
    Drei Stellen empfahlen sich als Observierungspunkte. An der am wenigsten geeigneten lehnte ein Mann mit hagerem Gesicht an einem Laternenpfahl und stocherte mit der Kante einer zusammengelegten Zeitung zwischen seinen vorstehenden Zähnen. An der besten, zwischen einem Zeitungslieferwagen und einem Weinlokal, beobachtete eine matronenhafte Frau einen Künstler, der mit Kreide auf dem Pflaster zeichnete, während nebenan ein großer Mann seine Knöchel knacken ließ.
    Sondegger sicherte sich den dritten Punkt. Er würde Wall ins Ohr flüstern und sicherstellen, dass die Beweise übergeben wurden. Er würde sich mit Abendammer treffen, und sie würden den Funkspruch absetzen. Einen Bericht an den SD – um das unterwanderte Netz der Abwehr zu zerstören –, einen weiteren mit einem Code im Code, an seine eigenen Leute. Die Amerikaner würden nicht in den Krieg eingreifen. Nicht, bevor wenigstens die Briten und Russen besiegt waren.
     
    Highcastle saß an seinem Schreibtisch, den Kopf zwischen beide Hände gestützt, und ließ seinen müden Blick über die Karte zwischen den Ellbogen streifen – Hennessey Gate, Tipcoes Pension, Melvilles tödliches Ruinengelände, die Straße, wo Rupert und zwei noch nicht identifizierte

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