Alias XX
beobachteten ihn. »Wo«, fragte er sie, »wart ihr da?«
»Wir waren dabei.«
»Beim Vormarsch auf Valona«, sagte Tom. »Im Januar 1941. Wo«, fragte er, »wart ihr da?«
»Wir waren verdammt noch mal dabei, Sarge.«
»Und im März? Am Arsch der Welt, gegen siebenundzwanzig Itaker-Divisionen an der albanischen Front – wo, sagt mir bitte, wart ihr da?«
»Wir waren dabei, Sarge!«
»Denkt an den April. Beim beschissenen Rückzug durch den Pass – als die deutsche Achtzehnte nach Strich und Faden vermöbelt wurde. Wo wart ihr da?« Er antwortete mit ihnen. »Wir waren dabei.«
Die Nacht war ruhig. Sie waren wie Kinder mit leuchtenden Augen, die es kaum erwarten konnten, aufgestachelt und angetrieben und benutzt zu werden. Sie waren jung, sie waren hart im Nehmen, und sie gehörten ihm.
»Sie haben unsere Ärsche aus Griechenland rausgeworfen«, sagte er. »Aber wir haben mehr ausgeteilt als eingesteckt. Eure Befehle – unsere Befehle – lauten, abzuhauen.« Er klopfte auf die Kiste. »Morgen bei Sonnenaufgang, falls die Krauts den Flugplatz haben, landen sie so viel Truppen, wie sie nur wollen. Falls sie den Flugplatz haben.«
Sie nickten. Ihre Gesichter glühten im Mondlicht.
»Ihr verhätschelten Drecksäcke«, sagte er. »Wollt ihr den Morgen noch erleben.«
»Zum Teufel, nein, Sarge!«, sagten sie.
»Hanner, O’Rourke, auf die Posten. Munition? … Es muss reichen. Rüttelt jemand Lifton wach, der schläft doch. Tar dieu, du weißt hoffentlich, wie diese Dinger zu zünden sind, oder die ganze Sache ist fürn Arsch. Rosey, du und Manny, schwärmt links aus …«
Es war lange vor Sonnenaufgang vorbei. Tom blutete, er war völlig hinüber, aber der Tod wollte nicht kommen. Rosenblatt zerrte ihn von der Höhe 107, schleifte ihn kilometerweit über Kiesel und Sträucher zu einem Feldlazarett, lächelte mit seinem zertrümmerten Gesicht und sagte: »Brauch keine Bigband für ’nen Jitterbug, Sarge.«
Sie flickten Tom in der Nacht zusammen. Ein Kübel voller Blut, ein paar Meter Verbandsmaterial, und am Ende fehlte ihm nichts, was deutsches Flankenfeuer nicht wieder hingekriegt hätte. Mittags war er wieder in Uniform. Sie gaben ihm ein Gewehr und sagten ihm, Rosenblatt sei in der Nacht gestorben.
Auf den Höhen von Galatas tauchte er sein Bajonett in Blut, kämpfte sich auf dem Friedhof von Grabstein zu Grabstein. Die Maori überquerten die Straße nach Xamo, starben für jeden Zentimeter, den sie sich erkämpften, und kamen bis zum Fuß der Höhe 107. Dann ging die Sonne auf, und mit ihr kamen die Me-109. Junkers-Transporter allerdings landeten nicht. Noch nicht. Der Flugplatz in Máleme lag in Schutt und Asche. Tom lächelte, als er davon hörte, und der Mann, der es ihm mitgeteilt hatte, wandte sich ab. Tage später kämpfte Tom neben Griechen und Kretern. Hatte sich seit einer Woche nicht rasiert und trug über seiner Uniform eine mit Stickereien verzierte kretische Weste und eine weite schwarze Hose. Eine Schafherde war von einer Bombe zerrissen worden, und die Frauen kochten das Fleisch. Ein hagerer Mann mit strahlendem Lächeln bot Tom den Augapfel an. Tom tauchte seinen Becher in den Rakitopf und warf sich das Auge in den Mund. Schmeckte besser als das Armeefutter. Er kaute noch, als der Anführer ihm in stockendem Englisch sagte, er müsse sich im Hauptquartier melden.
Zuerst musste er es finden. Das Hauptquartier der alliierten Streitkräfte war aus Chaniá abgezogen und anschließend erneut verlegt worden. Es stolperte durch die Landschaft wie eine verschreckte Maus auf der Flucht vor einer verspielten Katze. Das Hauptquartier war in einer Höhle untergebracht. Der Boden des Eingangs bestand aus festgestampfter Erde, darüber Farngestrüpp.
»Eine Höhle«, sagte Tom. Die Wache grinste. »Besser als ein Grab.«
Tom sagte nichts und wurde in einen fahlen, grob aus dem Stein gehauenen Lageraum gewunken, in dem das Chaos des Rückzugs herrschte. Tom salutierte dem Offizier hinter dem Schreibtisch und hörte sich selbst ruhig und zusammenhängend von Ereignissen sprechen, an die er sich kaum richtig erinnern konnte. Er machte sich für den Verlust seines Trupps verantwortlich. Er gab seine Einschätzung zur Position der Deutschen ab, zu ihrer Stärke und ihren Bewegungen, so gut es ihm möglich war.
Eine Ordonanz rief den Offizier fort, und Tom war allein. Er lehnte sich mit der Hüfte gegen einen provisorischen Tisch, brachte dabei einige Papiere durcheinander, und sein Blick fiel
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