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Alice@Hollywood

Alice@Hollywood

Titel: Alice@Hollywood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bunzel , Andreas Gaw
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Schreibtisch. Dann war er im Herzen bei mir, und ich konnte durch die dunkelgrüne Tinte auf dem Papier zu ihm sprechen. Es tut gut zu wissen, dass es noch Menschen gibt, die den gleichen Sinn für Romantik verspüren wie ich. Ein Brief ist im Zeitalter der Mail- und Telefonkommunikation etwas Spezielles. Und die Zeit, die man sich für den Empfänger nimmt, geht über die Zeit des reinen Schreibens hinaus. Denn der Gang zur Post gehört genauso dazu. Obwohl ich relativ schnell genau wusste, wie viel Porto auf die Briefe in die Staaten gehört, bin ich jedes Mal auf dem Postamt an den Schalter gegangen. »Wie viel muss da drauf? Der ist für meinen Freund. In New York!« Das zu sagen, war ein tolles Gefühl.
    »Dasselbe wie letzte Woche. Allmählich müssten Sie's wohl mal wissen !« , war dann meist die mürrische Antwort der Postangestellten. Trotzdem, ich liebe diese hellblauen Luftpostbriefe mit dem gestreiften Rand. Der Traum der großen, weiten Welt aus 17,5 Gramm Papier.
    Ich gehe ein paar Sandsteinstufen hinauf, bis zu einer schweren Metalltür. Links neben der Tür, ins Mauerwerk eingelassen, sind die Briefkästen. Hier haben sich meine Zeilen also immer ausgeruht, bevor Steve sie gelesen hat.
    Meine Hände sind etwas feucht, als ich die Klingelschilder nach dem Namen Miller absuche. Aha. Vierte Etage, Miller, Stone und Gretzky. Die Chaoten-WG, wie Steve seine Wohngemeinschaft nennt. Michael Stone ist anscheinend das Faktotum. Wirres Haar, wirre Augen und eine Art, in Räume zu  schlittern, als würde er von der Tür hineingezogen. Immer irgendwelche verrückten Geschäftsideen im Kopf und ansonsten hauptberuflich damit beschäftigt, fremde Kühlschränke leer zu futtern. Von Gretzky weiß ich eigentlich nur, dass er sich berufen fühlt, Eishockeyspieler zu werden. Allerdings geht der Gute stark auf die vierzig zu, ist übergewichtig und hat in seinem Leben noch nie auf Kufen gestanden. Da bin ich mal gespannt.
    Gerade als ich klingeln will, öffnet sich die Haustür, und ein verhuschter Kerl im Trenchcoat kommt heraus. Er hat stark fettendes Haar, und seine Mundwinkel zucken, als er mich sieht. Ich warte darauf, dass er jeden Augenblick den Mantel öffnet, um mir sein bestes Stück zu präsentieren. Aber nichts dergleichen geschieht. Er verharrt in einer reglosen Position vor mir, bis ich mich genötigt fühle, ihn anzusprechen. Ich frage nach Steve Miller. Er denkt angestrengt nach. Sein Gesicht erhellt sich nach einer Weile und er beginnt freudig zu singen: »Some people call me the space cowboy, some call me the gangster of love ...«
    Grinsend schleicht er von dannen, jedoch nicht ohne sich für den Ohrwurm zu bedanken, den ich ihm seiner Meinung nach gerade verpasst habe. Steve hat mir einmal geschrieben, dass außer ihm noch eine Reihe von liebenswerten Irren in dem Haus wohnen . Eine Frau zum Beispiel, die regelmäßig aufs Dach klettert, um mit ihrer Nagelfeile Löcher in den Vollmond zu bohren. Da scheint der singende Pseudoexhibitionist noch zur harmloseren Sorte zu gehören.
    Und immerhin hat er die Haustür offen gelassen. Ich gehe hinein. Eine schmale, spärlich erleuchtete Holztreppe führt nach oben. An dem Fahrstuhl hängt ein »Out of order«-Schild, worüber ich aber ganz froh bin, denn ich kann durchaus auf eine Begegnung, wie ich sie im Traum hatte, verzichten. Es ist stickig und heiß im Treppenhaus. Ich bin komplett durchgeschwitzt, als ich den vierten Stock erreiche. Klasse. Der ideale Zustand, um seinem Freund um den Hals zu fallen. Oh, ich freue mich ja so, dich zu sehen. Ach, und stör dich nicht an  dem strengen Geruch, ich mache gerade einen Langzeittest für Dove. Andrerseits könnte ich mir auch die Kleider vom Leib reißen und mich schwitzend über ihn hermachen. Die erotische Komponente, die in »The Big Easy« von der Schwüle ausging, ist nicht zu unterschätzen. Oder ich schlage ihm vor, dass wir auf der Stelle zusammen duschen sollten. Das wäre doch auch eine schöne Idee, um unser Wiedersehen zu feiern. Ich hoffe nur, Steve ist noch so, wie ich ihn in Erinnerung habe. Man neigt ja dazu, mit der Zeit die Dinge zu verklären. In den vielen Briefen, die wir uns geschrieben haben, wurde unser Verhältnis immer vertrauter. Seine Worte ließen mir regelmäßig einen wohligen Schauer über den Rücken laufen. Manchmal kamen mir beim Lesen seiner Worte Gedanken, die Steve schon in der nächsten Zeile des Briefes ansprach, als hätte er vorher gewusst, was ich denken würde.

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