Alice at Wonderland
aus Gera.
Ich frage mich, wie viele Leute jetzt vor dem Fernseher sitzen und ihr eigenes, eher langweiliges Leben mit derartigem Müll aufpeppen müssen. Was sind das für Menschen, die sich solche Shows anschauen? Mein Gesicht spiegelt sich in dem Löffel wider, den ich gerade in der Hand halte. Wahrscheinlich sind das Menschen wie ich, denke ich besorgt und beschließe, mich ab jetzt von der Masse zu distanzieren. Ich schalte aus und gehe im Zim mer auf und ab. Nein, mein Leben ist nicht so langweilig, dass ich mich in diese Welt flüchten müsste. Zumal meine Wohnung schon seit einer Stunde von einem Geländewagen mit getönten Scheiben observiert wird.
Vorsichtig schaue ich, halb von der Gardine versteckt, aus dem Fenster. Tatsächlich. Der Wagen steht immer noch da. Ich habe ein paar Mal etwas bei eBay-USA ersteigert, aber meine Rechnung immer bezahlt. Und ich habe eine 100% positive Bewertung. FBI kann es also nicht sein. Ein einziges Mal, als Studentin, war ich bei einer Demo. Und eigentlich nur, weil dieser Junge mit dem Palästinenser- Tuch so süß war. Ich habe keine Steine geworfen und weiß bis heute nicht, wofür wir damals überhaupt auf die Straße gegangen sind. Außerdem ist das echt lange her. Der Verfassungsschutz sollte sich mittlerweile nicht mehr da für interessieren. Aber etwas unheimlich kommt mir die Sache schon vor.
Das Fenster auf der Fahrerseite öffnet sich einen Spalt, und es steigt dicker Zigarettenrauch auf. The smoking man. Ich bin bei Akte X gelandet, und jede Sekunde wer den Mulder und Scully an meiner Haustür klingeln und mich nach Kontakten zu Außerirdischen befragen. Das ist überhaupt eine Idee, finde ich. Akte X ist eine der wenigen Mystery-Serien, die mir gefällt, zumindest die ers ten paar Staffeln, als diese aufgesetzte Verstrickung mit der Regierung noch nicht so im Vordergrund stand. Ich
überlege, mir vielleicht ein paar DVDs davon zu erstei gern.
Kurz drauf sitze ich am Computer und habe mein Gebot für eine Sammelbox der ersten vierundzwanzig Fol gen abgegeben. Da meldet sich mein Mailserver. Ich habe Post von Alex. Oh, mein Gott. Der hat Nerven, sich jetzt, nach fast einer Woche bei mir zu melden! Hat ihn wohl doch das schlechte Gewissen gepackt. Ich hatte ihm ja vor ein paar Tagen diese sehr liebevolle Mail geschickt, die glücklicherweise nicht ankam, da ich einen Tippfeh ler in der Adresszeile hatte. Danach habe ich ihm gestern mitgeteilt, dass ich keine Lust mehr habe, auf Antwort zu warten und wir den Kontakt am besten abbrechen sollten. Das scheint offensichtlich gewirkt zu haben. Okay, du ge platztes Blinddate. Dann wollen wir mal sehen, wie du zu Kreuze kriechst.
Liebe Alice!
Ich bin gerade nach Hause gekommen und habe deine gesammelten Mails der letzten Woche runtergeladen. Du scheinst ja ziemlich sauer auf mich zu sein. Das verstehe ich gut. Ich denke, ich wäre auch sehr verletzt, wenn man mich ein fach so hängen lässt, und sich dann noch nicht einmal die Mühe macht abzusagen ...
Allerdings. Gut, dass du's einsiehst!
Es tut mir sehr Leid. Aber kurz bevor wir uns treffen wollten, bekam ich die Nachricht, dass meine Mutter einen Autounfall hatte.
Ein Autounfall, so, so. Warum schreibst du nicht gleich, sie sei mit der Straßenbahn unterwegs gewesen und die hätten dann Terroristen nach Kuba entführt.
Sie wollte ein paar Tage in der Schweiz Urlaub machen und war in der Nähe von Grindelwald mit dem Wagen von der Straße abgekommen. Die Kurve war vereist. Sie war lebensgefährlich verletzt, und ich bin sofort los, um zu ihr zu kommen.
So was kann man sich nicht ausdenken, um ein geplatz tes Blinddate zu entschuldigen, oder?
Sie lag in Bern auf der Intensivstation im Koma. Die ganze Woche habe ich rund um die Uhr an ih rem Bett verbracht, und die Ärzte wussten nicht, ob sie durchkommen würde ...
Oh, mein Gott, wie schrecklich. Das ist kein Talkshow-Thema, das ist das wahre Leben. Ich merke, wie ich gegen die Tränen ankämpfe, und lese weiter.
Schließlich hat sie es aber geschafft. Gott sei Dank. Meine Mama ist zwar noch sehr schwach und kann frühestens in vier Wochen nach Deutschland verlegt werden, aber sie ist außer Lebensgefahr. Sei mir bitte nicht böse. Ich hatte absolut keinen Kopf, mich um irgendetwas ande res zu kümmern.
Nein, nein. Ich bin dir nicht böse. Du Süßer. Die ganze Woche rund um die Uhr bei seiner Mutter am Bett aus geharrt. Der arme Kerl. Ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten. Und ich habe ihm wer
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