Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt
Freundin verraten fühlen? Jede Ehe der Welt hat ihre Kritiker. Alice Bhatti wäre nie auf die Idee gekommen, dass es bei ihr Schwester Hina Alvi sein könnte. „Er arbeitet für sie. Auf Honorarbasis. Freiberuflich. Er sagt, er will keine feste Stelle, weil er dann nicht mehr regelmäßig trainieren kann.“
„Also ist er der kleine Helfer des Gesetzes? Ein Handlanger der Polizei, das ist er, einer, der die Drecksarbeit für sie macht. Ein bezahlter Zeuge. Ersatzgefangener. Schlag mal auf Honorarbasis den kleinen Kerl da zusammen, während ich seine Schwester vögle. Hör zu, ich weiß nicht, warum ich das alles sage. Es geht mich nichts an. Wir leben in einer freien Welt. Aber man muss die Freiheit erst finden. Und wenn du denkst, du findest sie, wenn du dich an so einen hängst, na dann viel Glück. Meine besten Wünsche. Ich sollte mich für dich freuen. Stattdessen mache ich mir Sorgen. Ich hoffe, du hast das nicht nur gemacht, um einen anderen Namen zu bekommen. Eine verheiratete Muslim-Krankenschwester ist nicht viel besser als eine ledige christliche. Du wirst höchstens doppelt versklavt.“
Alice Bhatti weiß Schwester Hina Alvis Sorge zu würdigen. Sie bemüht sich, die Mutter zu sein, die Alice Bhatti nicht hat, auch wenn Alice weiß, dass Hina Alvi sauer wäre, als jemandes Mutter bezeichnet zu werden, noch dazu als Mutter einer erwachsenen, verheirateten Frau. Aber zumindest nimmt sie Anteil und, wichtiger noch, sie hat keine Angst, ihre Anteilnahme zu zeigen.
„Danke, Schwester Alvi. Ich hätte Sie lieber fragen sollen, bevor ich mich in dieses Abenteuer gestürzt habe. Aber ich war selbst überrascht. Alles kam so plötzlich. Ich habe immer gedacht, ich kann ohne Mann leben. Und dass ein richtiger Beruf mir alle Sicherheit bietet, die ich brauche. Aber der Vorfall im VIP-Zimmer … hat mich nachdenklich gemacht.“ Alice ist selbst verblüfft über das, was sie gerade gesagt hat. Sie hat vorher gar nicht daran gedacht. Doch jetzt, nachdem sie es ausgesprochen hat, glaubt sie, es könnte etwas Wahres daran sein.
„Ah, ich verstehe.“ Anscheinend empfindet Schwester Hina Alvi einen Moment lang so etwas wie persönliches Bedauern, aber wirklich nur einen Moment lang. „Und da hast du dir gar nicht erst die Mühe gemacht, das Herz Jesu zu verlassen, um dir einen Mann zu suchen. Und dich an den erstbesten Dreckskerl gehängt, der dir über den Weg lief.“
„Ihnen ist sicherlich bewusst, dass Mädchen aus meinen Kreisen nicht eben mit Anträgen überhäuft werden. Faktisch war er der Einzige, der überhaupt ein Interesse gezeigt hat. Ich meine, es gibt schon welche, die Interesse haben, aber Sie wissen ja, worauf sich das beschränkt. Im Herzen ist er ein anständiger Mensch.“
Hina Alvi sieht Alice in die Augen, wie um zu entscheiden, ob dieses Gespräch bereits zu weit gegangen ist. Sie hat dem albernen Ding das Stichwort gegeben, und nun wird es ihr seine ganze Lebensgeschichte erzählen.
„Die erste Liebe“, sagt Hina Alvi, „ist wie der erste Herzinfarkt. Du hast gute Chancen zu überleben, aber richtig verwinden wirst du sie nie. Der erste Atemzug ist der Anfang vom Ende. Du hast ein bisschen Luft bekommen und denkst, alles ist in Ordnung. Vielleicht musst du deine Lebensweise ändern, denkst du, also verzichtest du auf dieses und jenes und auf rotes Fleisch, du fängst an zu laufen, schaffst dir einen Heimtrainer an, versuchst im Stehen zu kacken, aber … am Ende holt dich doch alles wieder ein.“ Seufzend legt Schwester Hina Alvi die Hände auf den Tisch.
„Hör zu, ich bin als Eheberaterin nicht geeignet. Ich war drei Mal verheiratet. Jetzt bin ich wieder allein. Ich habe sogar zwei Mal denselben Mann geheiratet. Nur um sicherzugehen. Das Ergebnis war das gleiche. Oder eigentlich war es beim zweiten Mal sogar noch schlimmer. Ich war nicht einmal mehr niedergeschlagen wie beim ersten Mal, mir war nur unglaublich langweilig. Getan habe ich es aus dem gleichen Grund wie alle anderen: Man braucht jemanden, an den man sich anschmiegen kann, neben dem man morgens aufwacht, der dir Joghurt bringt, wenn du dir den Magen verdorben hast, so was eben. Aber nicht mal davon habe ich viel bekommen. Ich war immer diejenige, die getröstet hat, neben ihm aufgewacht ist und ihn gepflegt hat. Vielleicht hast du ja mehr Glück. Wenn du auch nicht aussiehst wie eins von den Mädchen, die das Glück anziehen.“ Sie merkt, dass sie den letzten Satz nicht hätte sagen sollen, aber sie ist auch
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