Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt
nicht vorausplanen, Strategien entwerfen. Kurz gesagt, ein Hund kann nicht allzeit bereit sein. Aber du kannst es. Außerdem kannst du denken, aber du hast ja ein Weiberhirn: Dauernd machst du dir Sorgen, was als Nächstes passiert. Wann stürzt das Dach ein? Aber es stürzt nicht ein. Oder es stürzt ein, wenn es eben einstürzt. Deine feuchten Hände und zitternden Knie werden es nicht aufhalten.“
Der Sportlehrer macht sich daran, seinen Gürtel zu lösen, findet aber die Schnalle nicht und verirrt sich im Niemandsland zwischen dem abrupten Überhang seines Bauches und den sich wölbenden Oberschenkeln. Teddy geht in eine Ecke und nimmt die übliche Position ein. Er starrt auf sein Schienbein, an dem das Blut in Gestalt eines schlafenden Hundes trocknet. Er hört brüllendes Gelächter. „Schau dir das an, ich will mir nur etwas Luft verschaffen, und mein Sohn denkt, ich will ihn verprügeln. Ist das alles, was ich in diesem Haus tue? Arbeite ich nicht den ganzen Tag, um Essen auf den Tisch zu bringen? Wer arbeitet denn so schwer, dass ihr ein Dach über dem Kopf habt? Aber du und deine Mutter, ihr tut immer so, als wäre ich ein Sklaventreiber, der euch als Geiseln hält.“ Seinen Schmerz momentan vergessend, wendet Teddy sich betreten um. Der Sportlehrer sitzt auf der Matte, sein Bauch ruht fast auf seinen Knien. „Komm, nimm sie raus“, sagt er und murmelt dann sein Mantra: „Der Geist ist in jedem Jungen, er muss nur entdeckt und geweckt werden.“ Teddy kniet sich neben ihn und zwängt seine Handin die linke Hosentasche des Sportlehrers. Die Shorts sind ausgefranst, aber aus hochwertiger Baumwolle. Butterjeans nennt er sie gern. Anscheinend ist die einzige Fabrik, die sie herstellt, während der Teilung abgebrannt.
Der Sportlehrer kratzt sich in der Achselhöhle, öffnet einen weiteren Hemdknopf, leckt seinen Finger und beginnt eine Brustwarze zu streicheln, die geschwollen ist und feuerrot. Mit geübtem Griff gelingt es Teddy, mit den Fingern in die Ohrringe zu fahren und sie aus der Tasche zu ziehen. Zwei mit falschen Perlen besetzte, goldene Reifen. Er legt sie in die feuchte Hand des Sportlehrers. Dieser breitet sie feierlich vor sich aus, wie ein Hindu-Priester, der ein Opfer darbringt. Wie als Reaktion auf das Opfer erscheint Teddys Mutter mit einem Teller voll Essen, den sie vor ihrem Mann abstellt. Dann hebt sie die Ohrringe auf und legt sie an.
Morgens wird dieses Ritual in umgekehrter Reihenfolge ausgeführt. Bevor der Sportlehrer das Haus verlässt, ruft er nach Teddys Mutter. Sie kommt ins Zimmer, serviert ihm sein Frühstück, nimmt ihre goldenen Ohrringe ab und legt sie dem Sportlehrer auf die ausgestreckte Handfläche. Sie sind der einzige Schmuck, den sie besitzt, eigentlich sind sie das Einzige, was sie auf der Welt besitzt. Nachdem der Sportlehrer sie in seine Tasche gesteckt hat, frühstückt er.
Das Frühstück besteht aus einer rohen Zwiebel und altem Brot vom Vorabend. Der Sportlehrer hält Zwiebeln für ein Lebenselexier. Sie reinigen das Blut und erhalten das Augenlicht. Er kann noch immer ohne Brille Zeitung lesen und aus zwanzig Meter Entfernung einen Ball in den Korb werfen. Allerdings liest er nie Zeitung. „Ein Apfel am Tag hält zwar den Doktor fern“, predigt er Teddy häufig, „aber Zwiebeln treiben den Teufel aus. Sie reinigen das Blut und verscheuchen böse Gedanken.“ Der einzige böse Gedanke, den Teddy je hatte, ist, dass der Sportlehrer vor versammelter Schulmannschaft zusammenbricht und stirbt, während fünfhundert Knaben in weißen Turnanzügen rufen: „Allzeit bereit.“ Teddy hat versucht, sich mit Hilfe von Zwiebeln von seinen bösen Gedanken zu reinigen, denn er hofft, dass der Sportlehrer ihn für das Schulorchester auswählt.
Der Sportlehrer hat seinen Kollegen erzählt, dass seiner Mutter bei den Aufständen während der Teilung die Ohren abgeschnitten wurden, um an ihre Ohrringe zu kommen, und er nicht will, dass seiner Frau das Gleiche passiert. Seine Kollegen halten ihn für einen alten, misstrauischen Geizkragen, der glaubt, wenn er das Gold in der Tasche trägt, könne seine Frau mit niemandem durchbrennen. Es gibt ein Gerücht, dass er schon einmal verheiratet gewesen und seine Frau mit ihrem ganzen Schmuck davongelaufen sei. Einige sagen, die Frau sei ihm weggelaufen, weil er so viel Zeit mit seinen kleinen Pfadfindern verbracht habe. Einem dritten Gerücht zufolge hatte er selbst als Jugendlicher zur Zeit der Teilung Flüchtlingsfrauen
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