Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt
ist man dann besser dran. Aber es gibt immer Hurrikans, Sandstürme und Erdbeben, die auch die raffiniertesten Schutzmaßnahmen zunichtemachen.
„Nehmet und esset alle davon, denn das ist mein Leib, nehmet und trinket, denn das ist mein Blut.“ Ein Schauer überläuft sie. Sie findet, ein Krankenhaus wie das Herz Jesu ist nicht gerade der beste Ort, um sein Fleisch und Blut anzupreisen. Die Stimme verklingt, und die Sonne sticht Alice wieder in die Augen. Ihrer Schätzung nach ist ihre Mittagspause vorbei. Sie fühlt sich ausgehungert. Sie kauft sich ein Kebab-Brötchen in der Kantine und verschlingt es mit großen Bissen, ohne sich um die gierigen Blicke zweier Kinder zu kümmern, die in Hemden, aber ohne Hosen vor der Kantine warten. Sie gibt sich das Versprechen, am kommenden Sonntag zur Kirche zu gehen. Nur um Ihm Hallo zu sagen und Ihn aufzufordern, sie in Ruhe zu lassen. Außerdem wird sie Schwester Hina Alvi fragen, ob sie den sturen Säugling behalten darf. Vielleicht kann sie ihn Klein Yasu nennen. Und Ihm damit eine solche Freude machen, dass Er sie in Ruhe lässt. Sie kann doch sicher ein Kind großziehen? Ihr Mann ist zwar nicht oft zu Hause, aber immerhin ist sie jetzt verheiratet.
vierundzwanzig
Alice Bhatti muss nicht in einen Becher pinkeln und ihn ins Labor bringen, um herauszufinden, dass sie schwanger ist. Sie öffnet morgens den Kühlschrank, um die Milch für ihren Tee herauszunehmen, und der Geruch einer Mango schlägt ihr auf den Magen. Sie muss heftig aufstoßen. Sie läuft ins Bad, die Hand auf den Magen gepresst, legt sich die Hand an die Kehle und übergibt sich ins Waschbecken. Mit tränenden Augen sieht sie in den Spiegel. Sie ist froh, dass Teddy nicht da ist. Erleichtert, obwohl er schon seit drei Tagen nicht aufgetaucht ist. Sie wäscht sich das Gesicht und nimmt einen kleinen Schluck Wasser. Es schmeckt rostig.
Sie hat das schon einmal erlebt. Sie war neunzehn, in ihrem letzten Jahr auf der Schwesternschule und in den kommunistischen Arzt verliebt. Sie verbrachte zu viel Zeit mit ihm und roch deshalb ständig nach Liebe und Zigarettenrauch. Doch der eigentliche Liebesakt fand stets so flüchtig und sporadisch statt, dass sie ungeachtet der vielen Unterrichtsstunden über Fortpflanzung nie auf die Idee kam, diese schweißfeuchten, gemeinsamen Momente könnten zu etwas führen. Vielleicht stand dahinter aber auch folgender Gedanke: Wenn man ungeschützten Sex haben kann, ohne schwanger zu werden, dann doch wohl mit jemandem, der Gynäkologie unterrichtet. Einige Tage träumte sie kurz von Hochzeit, Kinderwagen und Geburtstagshütchen, aber als sie es ihm dann sagte, tat sie es ohne innere Bewegung, als würde sie die Symptome einer gewöhnlichen Grippebeschreiben. „Meine Periode ist ausgefallen.“ Es klang, als hätte sie den Bus verpasst, den sie eigentlich nehmen wollte, was aber nicht schlimm war, weil bald der nächste kommen würde. Der kommunistische Arzt geriet jedoch in helle Aufregung. Zuerst fing er an zu weinen, dann rauchte er eine Stunde lang Kette und ging eine Liste mit Namen für das Kind durch, darunter jede nur mögliche Kombination aus Namen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Indiens zur Zeit der Teilung. Dann ging er Zigaretten holen und kam neun Tage nicht mehr zurück.
„Meine Mutter ist herzkrank, ich glaube nicht, dass sie es verkraften würde. Seit Generationen heiraten wir nur innerhalb unseres Shia-Clans, ganz zu schweigen von einer Heirat in eine andere Religion.“ In diesen neun Tagen schien er gealtert zu sein. „Ich habe keine Tränen mehr.“ Er rieb sich unablässig die Augen. Offenbar war ihm klar geworden, dass die einzigen Ketten, die er nicht sprengen konnte, die vor Jahrhunderten bei irgendeiner arabischen Stammesfehde geschmiedeten waren. Alice war dermaßen verblüfft von diesem Theater, dass sie ihn tröstete.
Er brachte ihr zwei Misoprostol, die sie vor seinen Augen einnehmen musste. Nichts geschah. Sie bekam nur schrecklichen Durchfall. Als sie sich erholt hatte, besorgte er Mifeprex aus der Krankenhausapotheke. Sechs Stunden lang hatte sie mörderische Schmerzen. Es fühlte sich an, als würde Glas in ihrem Unterleib gemahlen. Er stand über ihr und sah zu, wie sie sich eine Ecke des Lakens um die Hand wickelte, die Zähne hineinschlug, versuchte, sich die Faust in den Mund zu stecken, dann aufgab und ihn anschrie, er solle aufhören, sie anzuglotzen. Und als der die Augen schloss, schrie sie, er sei ein Feigling.
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