Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt
sonntägliche Gotteslästerung. Gott schenkte Joseph Bhatti das Leben, und Alice kehrte zu Seiner Herde zurück. Wie alle verirrten Schafe, die zur Herde zurückfinden, machte sie es sich fortan zur Aufgabe, Seinen Namen zu schützen, um all ihre kleinen Sünden zu tilgen.
An der Schwesternschule gab es ein paar Musla-Mädchen, die gar keine Poster mochten, weder von Wham! noch von Yasu. Ihr Hass auf Bilder war so groß, dass sie im ersten Semester eine Petition gegen die anatomischen Tafeln in den Unterrichtsräumen einreichten. Ihrem Gesuch zufolge waren die Tafeln pornographisch und gegen allen Anstand, den nicht nur der Islam, sondern jede Religion vorschrieb. Die Eingabe wurde abgelehnt, weil die anatomischen Tafeln zu den Grundlagen ihres Berufs gehörten. Dr. Pereira, Ehrendirektor der Schule, schrieb in seinem Bescheid: „Man kann nicht zur Schule gehen und dann gegen das Alphabet zu Felde ziehen.“ Dieser Satz gefiel ihm so gut, dass er ihn in Fettbuchstaben tippte. Die Tafel-Mädchen fanden andere Mittel und Wege, um ihre Mission voranzutreiben. Mit der Zeit verschwanden immer mehr Fortpflanzungsorgane von den Tafeln. Eierstöcke wurden herausgerissen, Penisse verstümmelt und Brustdrüsen mit schwarzer Tinte übergossen.
Als diese Gruppe mit Hockeyschlägern und einem Koran bewaffnet den bei ihnen als „Lasterhöhle der Ungläubigen“ verrufenen Schlafsaal stürmte, zu dem auch Alice gehörte, und Schlachtrufe wie „Noch ein Stoß gegen die morsche Mauer“ und „Wer gehört nach Pakistan? Musalman, Musalman!“ skandierten, bekamen sie es mit Alice Bhatti zu tun. Die anderen drei Yasu-Mädchen leisteten nur passiven Widerstand, indem sie mit geschlossenen Augen und zitternden Knien beteten: „Yasu, rette unser Seelen, zuvor aber schütze unseren Leib.“
Alice Bhatti trat den Angreiferinnen gegen die Schienbeine und biss einer sogar ein Stück Fleisch aus der Hand, als sie nach ihrer Kehle griff.
Dann zog sie ein Fahrradkettenschloss hervor – niemand wusste, wieso sie ein Fahrradschloss hatte, wo sie doch kein Fahrrad besaß, ja noch nicht einmal Rad fahren konnte – und schwang es den Feindinnen ins Gesicht. Diese traten den Rückzug an, während sie sie als Yasu-Schlampe und Yahudi -Spionin beschimpften. Die Yahudis hätten ihren Herrn Yasu getötet, versetzte Alice, sie müssten sich also entscheiden, wessen sie sie beschuldigten. Dann schwang sie ihr Schloss gegen eine der Anti-Tafel-Kämpferinnen, die sich von hinten an sie anschleichen wollte.
An diesem Tag lernte Alice Bhatti etwas sehr Wichtiges: Ihre Schlafsaalgenossinnen mochten fromme Katholikinnen sein, die sich etwas auf ihre Gottesfurcht einbildeten, aber bei einer Prügelei waren sie völlig nutzlos. Welchen Sinn hatte ein Glaube, wenn er nicht die Stärke und die Macht verlieh, ein paar Knochen zu brechen?
Als sie zu einer disziplinarischen Anhörung vor dem Direktorium erscheinen mussten, erkannte Alice, dass ihre Gefährtinnen eher für ihre Väter oder die Kirchenfreunde ihrer Väter sprachen als für sich selbst. Sie versteckten ihre Jesus-Plastikamulette zu zehn Rupien in ihren BHs, was Alice noch mehr verwirrte. Warum etwas tragen und es dann verstecken? Hatte Yasu gesagt, er wolle an einer Haarnadel gekreuzigt und dann in der Unterwäsche versteckt werden?
Sie kamen mit einer Verwarnung davon. „Krankenschwestern tun gottgefällige Werke, dennoch dürfen sie Gott beiihrer Arbeit nicht ins Spiel bringen“, schrieb Dr. Pereira in seinem Mahnbrief, was aber Alice Bhatti nicht abhielt, Yasus Liebe auf den Straßen von French Colony zu verkünden.
Ihre Diözese tat Alice als eine der vielen wiedergeborenen Erlösergestalten ab, die alle paar Jahre in French Colony auftauchten und denen im Grunde nur eine ausgewogene Ernährung, ein Familienleben oder zumindest regelmäßiger Sex fehlten. Alice Bhattis Gebete – sie selbst zog es vor, ihre Gebete als Opfer zu bezeichnen – waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Denn sie wusste, dass sie Yasu nicht kratzten oder sein Leiden verringerten. Sie dienten nur dazu, die eigene Seele zu erheben.
Die nächsten zweieinhalb Jahre verbrachte Alice als einsame Streiterin Yasus. Sie kaufte eine Tüte voll Plastikkreuze und steckte jeden Tag eins ans Schwarze Brett der Schule. Sie wurde angespuckt, vom Unterricht ausgeschlossen, wieder aufgenommen, verhört, verwarnt, nochmals verwarnt und zum allerletzten Mal verwarnt, aber sie kämpfte weiter.
Sie war nicht einmal
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