Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt
herrschen werden. Drei Sprüche in verschiedenen Farben erklären Dr. Pereira zum Hund, zum Esel und zum christlichen Prediger.
Noor holt probeweise ein paar Mal mit dem Gewehr aus wie mit einem Baseballschläger.
„Ich habe mal Schlagzeug gespielt, aber in die Band habe ich es nicht geschafft“, sagt Teddy traurig, als würde sein Daumen dafür bestraft, dass sein Besitzer kein guter Schlagzeuger ist.
Noor lässt das Gewehr sinken und stützt sich darauf. „Komm doch später wieder. Dann gebe ich dir einfach eine Röntgenaufnahme von einer Fußfraktur oder so was“, sagt er leise.
„Nein, Kommissar Malangi hat ausdrücklich einen Daumen verlangt. Komm, lass uns keine Zeit vergeuden. Seine Kinder schreiben bald ihre Mathematikarbeiten.“
Noor wirft einen letzten Blick auf Teddys Hand am Strommast. Ihm fällt auf, dass der Unterarm haarlos ist und Schweißperlen daran herunterrinnen. Der Arm eines Bodybuilders. Noor schließt die Augen, packt das Gewehr bei der Mündung und schlägt mit aller Kraft zu. Das Holz trifft auf den Mast, und Noor hört einen dumpfen Schlag. Es klingt wie eine Schulglocke, die zur Pause läutet. Die Milane auf den Stromleitungen flattern hoch. Einer von ihnen kreischt, als wollte er sagen, sie sollten ihr albernes Spiel woanders fortführen.
Teddy ist erleichtert, doch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Dann sieht er seinen unverletzten Daumen, der vielleicht ein bisschen blutleer und bleich wirkt, sonst jedoch intakt ist.
„Ich bin derjenige, der die Augen schließen sollte. Du musst zielen. Mit offenen Augen. Los, mach schon“, sagt Teddy. Er kneift die Augen zusammen und umklammert mit aller Kraft den Mast, als wollte er ihn ausreißen.
Erst als Noor den Knochen splittern hört und sieht, wie Teddys Blut auf die Zettel spritzt, die einen tausendjährigen Krieg verheißen, um die Ehre der Mütter der Gläubigen zu schützen, und Teddy schreiend auf einem Bein herumspringt und einen Schwall unaussprechlicher Flüche über Noors Mutter ergießt, wird ihm klar, dass er eine örtliche Betäubung hätte vornehmen sollen. Er hat einen ganzen Schrank von dem Zeug auf Lager.
Teddy blickt nicht einmal zurück, um sich zu bedanken. Er vergisst sogar, das Gewehr mitzunehmen, und rast, die Überreste seines Daumens umklammernd, davon. Wie ein Jagdhund, der seinem Herrn triumphierend und in froher Hoffnung auf Belohnung eine Beute apportiert.
drei
Wer Noor am Tag seiner Ankunft vor den Toren des Herz Jesu gesehen hat, hätte nie geglaubt, dass derselbe Junge nun im Büro des Chefarztes sitzt und sich wie ein echter Babu Notizen macht. Niemand hätte es für möglich gehalten, dass der bleiche, dürre Vierzehnjährige überhaupt Zutritt zum Herz Jesu erhalten würde. Zu allem Überfluss hatte er eine alte Frau mit einer billigen Sonnenbrille am Arm, die sich gerade zu einer Bettlerkarriere entschlossen zu haben schien. Damals beherrschte Noor genau zwei englische Wörter. Excuse. Me. Sie verhalfen ihm zu einem neuen Anfang. Niemand hätte je geglaubt, dass derselbe Junge nun in einem Moment den Arm des Gesetzes unterstützen würde und im nächsten eine Sitzung protokollieren.
Am Tag seiner Ankunft im Herz Jesu hatte er mit der einen Hand seine Hose festgehalten und mit der anderen seine Mutter Zainab gestützt, die, nach den verhältnismäßig ruhigen Jahren in der Besserungsanstalt, vom Verkehrslärm Migräne bekommen hatte. Noor probierte seine beiden englischen Wörter an jedem aus und eckte damit an. Er wurde mit Verachtung gestraft. Auch mehrsprachige Bettler waren Bettler, schlimmer noch, sie waren Bettler mit Allüren, und keiner beachtete sie. Bettler hatten jeden Tag etwas Neues auf Lager. Manche gaben sich als kürzlich in Not geratene Angestellte aus und radebrechten in höflichem Urdu, um die angesichts der bodenlosen Gier halb nackter Kinder und erschöpfter, blinder alter Frauen verhärteten Herzen zu erweichen. Niemand hätte sich damals vorstellen können, dass Noor mit siebzehn Jahren das Herz Jesu praktisch leiten würde. Als er sich von seinen Freunden in der Besserungsanstalt verabschiedet hatte, wären sie nie auf die Idee gekommen, dass er eines Tages im gleichen Raum mit Chefärzten, altgedienten Sanitätern und anerkannten Kapazitäten der Chirurgie Vorstellungsgespräche protokollieren würde. Dass er die Akten über Einweisungen und Entlassungen, Spenden und Ausgaben führen würde. Und doch war es derselbe Junge, der drei Jahre zuvor mit seiner Mutter
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