Alice im Netz - das Internet vergisst nie!
worauf Alice den ganzen Tag über schon sehnsüchtig gewartet hatte: Sie küssten sich. Minutenlang.
18. Kapitel
Er verschwand hinter der Hausecke und lieà sich keuchend mit dem Rücken gegen eine StraÃenlaterne sinken.
Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, würgte und schnappte in kurzen Zügen nach Luft, als ob er jeden Moment zusammenbrechen würde.
SchlieÃlich ging er in die Hocke und beugte sich mit dem Oberkörper so weit nach vorn, dass seine Stirn den Asphalt berührte.
In dieser Position verharrte er eine ganze Weile, bis er sich schlieÃlich mit einem lauten Stöhnen aufrichtete und das Gleichgewicht wiederfand.
Sein Atem hatte sich beruhigt. Das Herz schlug wieder regelmäÃig. Den Brechreiz hatte er unter Kontrolle gebracht.
Langsam drehte er sich um, ballte die Hand zur Faust und schlug ein paar Mal mit aller Gewalt gegen den Laternenpfahl.
Er spürte den Schmerz nicht. Er spürte nur die Wut. Diese unbändige Wut â und den Hass.
Er hasste sie. Er hasste sie abgrundtief.
Diese blöde Kuh. Diese schwarzhaarige Mistkuh, die ihm erst den Mund wässerig gemacht und ihn dann eiskalt abserviert hatte.
Dreckstück.
Schlampe.
Nutte.
Jawohl, das war sie. Eine widerliche, billige Nutte.
Warum hatte sie all das über sich im Internet geschrieben, es ihm auf diese Weise mitgeteilt, wenn sie am Ende dann doch nichts von ihm wissen wollte?
Warum machte sie das?
Er liebte sie doch â noch immer.
Ein letztes Mal noch boxte er gegen den Laternenpfahl, dann lieà er die Hand sinken. Als er sich langsam umdrehte, sah er eine Frau ein paar Meter entfernt die StraÃe entlangeilen. Sie blickte sich zu ihm um, hektisch, so, als ob sie sich gar nicht schnell genug von ihm entfernen konnte.
âVerpiss dich, du Sau. Sonst polier ich dir die Fresseâ, schrie er und biss sich in die geballte Hand, weil ihm plötzlich bewusst wurde, wie dumm und auffällig er sich verhielt.
Dumm und planlos. Mal wieder. Wie ein Versager.
Und schon hörte er sie rufen: âDie kleine fette Versagersau. Knutscht die Sau! Los, knutsch die Sau! Knutsch die Sau!â
Er presste sich die Hände auf die Ohren. Aber sie grölten einfach weiter. âKnutsch die Sau! Knutsch die Sau!â
Er drehte sich um und lief los, die Hände noch immer fest auf die Ohren gepresst. Erst langsam, dann immer schneller. Und sie schrien im Chor: âLauf doch, du fette Sau. Los, lauf! Lauf schneller! Lauf um dein Leben! Schwing die fetten Schweinekeulen! Lauf!â
Er nahm die Hände von den Ohren und holte mit den Armen Schwung, damit er noch schneller würde. Immer schneller und schneller, bis er keine Luft mehr bekam und seine Beine nachzugeben drohten.
Ruckartig blieb er stehen, lauschte in sich hinein.
Ruhig war es. Die Stimmen waren verschwunden. Nur sein dröhnender Herzschlag war zu hören.
Japsend holte er Luft und schaute sich um. Er hatte nicht bemerkt, wohin er gelaufen war. Er hatte auch die Menschen nicht registriert, die ihm teils erstaunt, teils belustigt hinterhergeschaut hatten, als er an ihnen vorbeigestürmt war.
Er kam sich vor wie Forrest Gump, der gerade seinen dreijährigen Dauerlauf quer durch Nordamerika bewältigt hatte. Mit dem Unterschied, dass er keine dreiÃig Minuten gelaufen war. Dennoch sah er den jungen Forrest mit seinen Beinschienen ganz genau vor sich, wie er von einer Horde Nachbarsjungen mit Fahrrädern gejagt wird, dabei seine Schienen verliert und feststellt, dass er ein ausgezeichneter Läufer ist.
Auch er hatte etwas verloren und dabei etwas über sich erfahren.
Fett. Unglaublich viel Fett. Er hatte sich aus einem wabbeligen Schwergewicht, einer fetten Sau, wie die Kinder in der Nachbarschaft ihn immer genannt hatten, in einen jungen, athletischen Mann verwandelt. Einen Muskelprotz.
Die letzten Jahre hatte er sich ausschlieÃlich mit seinem Körper beschäftigt. Ihn so lange trainiert, bis aus dem kleinen, fetten, rothaarigen Bengel ein durchtrainierter Mann geworden war, der auf sein Aussehen stolz sein konnte. Und seitdem er sich die karottenroten Haare pechschwarz gefärbt hatte, war er rundum zufrieden mit sich â und endlich bereit.
Für sie.
Sein Gegenstück.
Ein Mädchen, das ebenso schön und perfekt war wie er.
Er hatte das Internet nach ihr durchforstet. Für sie wäre er sogar bis ans Ende der Welt gereist. Aber das musste er gar nicht, denn
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