Alicia II
Interesse daran, mir die Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Einige Zeit wanderten wir schweigend durch verschiedene Straßen. Die Leute, die uns begegneten, schienen meinen Beschützer gut zu kennen. Sie wichen ihm in großem Bogen aus, und manchmal gingen sie auf die andere Straßenseite, wenn sie ihn kommen sahen. Ihr Verhalten kam mir merkwürdig vor, da Stan in seinem Äußeren nichts Bedrohliches an sich hatte und auch nicht besonders muskulös war. In seinem Gesicht lag nur gerade soviel Gemeinheit, daß die Leute ihm gern aus dem Weg gingen. Schließlich hielten wir vor einem baufälligen Gebäude an, über dessen Fassade ein riesiges Kreuz in allen Regenbogenfarben gemalt war.
»Hier rein«, sagte Stan.
»Das ist die Kirche, nehme ich an.«
»Richtig.«
Er wollte mich an der Schulter hineinschieben, doch ich stemmte mich gegen den Druck. Als wir das Gebäude betraten, berührte Stan mit einer Geste, die wie ein Ritual wirkte, eins der kreisrunden Fenster aus imitiertem farbigem Glas, die sich in der Mitte der beiden Türflügel befanden.
16
Das Innere der Kirche war ein großer, nackter Raum. Ein paar Stühle standen aufs Geratewohl herum, und nicht viele davon waren nach dem großen St. Ethel-Altar in der einen Ecke ausgerichtet. Das Hauptstück des Altars, die Statue der verehrten Heiligen, war in keinem besseren Zustand als die, die wir auf dem Marktplatz gesehen hatten, und ein größeres Kunstwerk war sie auch nicht. Die einzigen Fenster befanden sich hoch oben an der Wand, und ansonsten gab es nicht viel an Dekoration. Wo immer sich ein Bild oder dergleichen vermuten ließ, erwies es sich bei näherer Betrachtung als durch Schatten hervorgerufene optische Täuschung. Alicia und Rosalie traten durch eine geschickt verborgene Tür neben dem Altar ein.
»Alicia hat mir erzählt, wer Sie sind, Geraghty«, sagte Rosalie. »Wenn ich gewußt hätte, daß Sie zwei von unsern Attentäter-Kommandos verkrüppelt haben, wären wir vorhin in der Gasse vielleicht nicht so sanft mit Ihnen umgegangen.«
Es verstärkte mein Unbehagen, daß ich mich bemühen mußte, Stans haßerfüllten Blick zu ignorieren. Rosalie fuhr fort: »Aber, St. Ethel und Christus! Ich kann es Ihnen nicht zum Vorwurf machen, daß Sie sich verteidigt haben, auch wenn wir es uns nicht leisten können, Trios guter Männer auf diese Weise zu verlieren. Alicia hat mich überzeugt, daß Sie eventuell gerettet werden könnten. Ich habe ein paar Botschaften ausgesandt.«
Rosalie ergriff einen Faltstuhl, schleuderte ihn unter ihren Körper, als sei es ihr gleichgültig, ob er richtig placiert wurde, und setzte sich neben mich. Alicia schob einen Sessel über den Fußboden und setzte sich uns gegenüber. Stan wanderte unaufhörlich um mich herum. Ich fühlte mich eingekreist.
»Mein Freund …« – Rosalie beugte sich vor, und ihre Augen schimmerten jetzt in einem tiefen Violett – »… wie ich höre, sind Sie so zäh, daß Sie Steine scheißen.«
»Äh … sehen Sie …« sagte ich.
»Wie ich höre, sind Sie so zäh, daß Sie Glassplitter durch einen Strohhalm trinken.«
»Worauf wollen Sie …«
»Wie ich höre, sind Sie so zäh, daß Sie …«
»Okay, okay, aber so zäh bin ich wieder nicht, daß ich mich bei einem Ritual dieser Art nicht erbrechen muß.«
Rosalie lachte.
»Richtig«, sagte sie, »das war nur ein Test.«
»Ich kann es nicht leiden, wenn …«
»Sehen Sie, Geraghty, ich bin überzeugt, sobald ich Sie besser kenne, werde ich Sie ebenso beleidigend finden wie Sie mich. Aber im Augenblick möchte ich nur mit Ihnen reden.«
Sie wurde unterbrochen, weil die Haupttür sich öffnete. Ein schäbig gekleideter junger Mann, der aussah, als leide er an einer tödlichen Krankheit und könne jeden
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