Alicia II
wirkte.
Prüfend legte er eine Hand auf die Glasscheibe und zog sie zurück, als habe er tatsächlich winterliche Kälte verspürt.
»Nun, Voss, das wäre es«, sagte er. »Die Mission kann durchgeführt werden. Du hast die notwendigen Fähigkeiten. Entweder tust du es, oder du läßt es bleiben. Die Parameter sind klar, soweit sie die Mission selbst betreffen, aber ich kann dir keine stichhaltigen Gründe nennen, weshalb du die Aufgabe übernehmen sollst. Nicht einmal die gottverdammten Operationen. Sie werden deine Belohnung sein, wenn du es tust, aber das ist kein Grund für deine Zustimmung, und ich glaube, das weißt du selbst.«
Alicia berührte meine Hand. Sie wollte ja nicht, daß ich mich nur ihretwegen operieren ließ. Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich mich überhaupt operieren lassen wollte. Es war mir in den letzten Minuten unwichtig geworden. Ben wandte sich vom Fenster ab und sah mich an, als wolle er eine Diagnose stellen. Ich rückte auf meinem Sessel herum, ich wand mich unter den Blicken der beiden. Ich kam mir vor wie im Traum, meine Gedanken schienen nicht meine eigenen zu sein. Wieder war ich inmitten des Coolidge-Nebels, und das Lichtgeschöpf befand sich in mir. Der Schmerz war der gleiche. Ich fragte mich, ob es auf Alicia oder Ben irgendeinen Eindruck machen würde, wenn ich hysterisch im Zimmer auf und ab tobte, wie ich es getan hatte, als ich aus dem Nebel kam und Stacy im Wald herumjagte. Ich versuchte mir vorzustellen, was sie wohl gedacht hätten, wenn sie dabeigewesen wären. Es gelang mir nicht. Ich hätte mir nicht gewünscht, daß sie dort gewesen wären. In gewisser Weise wünschte ich auch nicht, daß sie hier waren und mein Leben komplizierten. Wenn es mir nur gelungen wäre, isoliert zu bleiben, wenn ich weder Ben noch Alicia wiedergesehen hätte, dann wäre ich nichts weiter als ein Raumfahrer auf Urlaub gewesen, der mitnimmt, was die Häfen der Erde ihm zu bieten haben. Aber nein, auch dann wäre es nicht möglich gewesen. Ich hätte immer noch Pierre Madling sterben sehen müssen oder einen Menschen seiner Art oder irgendwen. Warum waren dieser individualisierte Tod, diese grauenhafte Erinnerung an Pierres verklingenden Schrei und der Blick von oben auf seinen zerschmetterten Körper und die ihn umringende Menge soviel schmerzlicher, soviel lebhafter als diese Abstraktion des Mordes, die Ben vorschlug? Er sprach über die philosophisch vertretbare Auslöschung von ein, zwei, drei Millionen, die Seelen, Psychen, Animas, Lebenskräfte, Lebensprinzipien waren. Aber irgendwie keine Menschen. Ich versuchte, mir diese Millionen von am Leben erhaltenen Gehirnen in ihren sterilen Behältern, umgeben von Nährlösungen, vorzustellen, und ich sah in ihnen jetzt nur noch Dinge, wie Alicia es mir geraten hatte. Statt dessen kehrte die Erinnerung an Pierres Tod zurück. Natürlich dachte ich nur deshalb wie Ben und Alicia, zwang mich, so zu denken, damit es mir leichter fiel, die Mission in Erwägung zu ziehen. An diesem Punkt wurde mir mit Entsetzen klar, daß ich genau das tat: Ich zog die Mission in Erwägung. Es war nicht ausgeschlossen, daß ich sie übernahm. Es war nicht ausgeschlossen, daß ich den magischen Mikrostaub in verschiedene Öffnungen eines Röhrennetzwerks streute. Daß ich zu einem mörderischen Sandmann wurde, der den Millionen, die Bens Argumenten zufolge nichts anderes verdienten, als ausgelöscht zu werden, einen ruhevollen Schlaf, einen schmerzlosen Tod brachte. Als mir klar wurde, daß ich an das, was Ben so kalt »die Mission« nannte, zu denken vermochte, erkannte ich, daß die Möglichkeit bestand, ich würde es tun. Die Möglichkeit. Ich wollte es nicht tun. Aber die Möglichkeit
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