Alicia II
zugestanden ist – oder im Falle einiger von uns in dem letzten uns zugestandenen Leben – unser Bestes tun. Ich weiß, daß ich den geschickten Rhetoriker hauptsächlich spiele, um mich selbst zu überzeugen. Nicht dich, Voss, mich selbst. Aber die Dinge neigen dazu, sich auf wahnsinnig einfache ideologische Leitsätze zu reduzieren.«
Er lachte leise vor sich hin.
»Da gibt es eine alte, nie gelöste Denksportaufgabe oder ein Rätsel, ich weiß auch nicht, als was ich es bezeichnen soll, das sich auf diese Situation anwenden läßt. Wenn du dich auf einem Ruderboot oder einem abstürzenden Sternenschiff oder einem kurz vor der Explosion stehenden Planeten befändest und die Macht hättest, entweder eine kleine Gruppe von Einsteins und Beethovens und verschiedenen Heiligen und Philosophen zu retten, von denen allen noch große Werke und wertvolle Leistungen zu erwarten sind, oder die gesamte übrige Menschheit, während die Einsteins, Beethovens, Heiligen und Philosophen sterben müßten, indem du einen von zwei Knöpfen drücktest – welchen Knopf würdest du drücken? Würdest du die kleine Zahl wertvoller Menschen retten und hoffen, mit all den Nachkommen der Einsteins, Beethovens, Heiligen und Philosophen eine Welt zu schaffen, die all das wunderbare Erbgut enthält, aber Jahrhunderte und viele Generationen braucht, um den augenblicklichen Bevölkerungsstand wieder zu erreichen? Oder würdest du den Knopf drücken, der nur die gewöhnlichen Menschen vor dem Tod bewahrt und somit Millionen und Milliarden mehr Leben retten? Wenn du es tätest, blieben Millionen von Menschen und ihre Nachkommen erhalten, in denen das Potential zu großen Leistungen und Gedanken ja durchaus vorhanden ist, und die Aussichten für künftige Beethovens et cetera wären ebenso groß.«
»Ich weiß nicht, weder die eine noch die andere Antwort ist befriedigend.«
»Nicht völlig befriedigend, Voss. Weißt du, welchen Knopf du drücken würdest, Alicia?«
Offensichtlich wünschte sie nicht, danach gefragt zu werden.
Sie gruppierte Gegenstände auf einem Tisch neben Bens Sessel um. Schließlich sagte sie: »Ich glaube, ich würde den Knopf drücken, der die Millionen rettet, aber ich bin mir nicht sicher, warum.«
Ben nickte.
»Ich würde es ebenfalls tun. Siehst du, Voss, es hängt davon ab, wie du orientiert bist. Wenn du nach Objektivität strebst oder Mitleid empfindest, dann stellt dich das Rätsel vor eine unlösbare Frage. Am liebsten möchtest du beide Knöpfe drücken, die ganze Menschheit retten, Beethoven und das gewöhnliche Volk. Natürlich ist das Dilemma, daß das in der angenommenen Situation nicht möglich ist. Und für den Zyniker oder Misanthropen, der weder den einen noch den anderen Knopf drücken möchte, ist es ebenso schwierig – auch das ist nicht erlaubt. Nein, du mußt deine Wahl treffen. Halte deine Hand über die Knöpfe. Du fühlst dich wie gelähmt, nicht wahr? Welcher? Welcher? Die Hand muß sich niedersenken, muß ein rundes Stück Plastik berühren. Peng! Eine Gruppe ist gerettet.«
Bens halbes Lächeln gehörte zu den aufreizendsten Grimassen, die ich je gesehen hatte.
»Hör auf damit, Ben«, protestierte ich. »Es ist nicht die richtige Zeit für Denksportaufgaben, nicht jetzt, nachdem du mich aufgefordert hast, das …«
»Du magst recht haben, aber ich stehe unter dem Zwang, dir meine Wahl zu erklären, Voss. Siehst du, mein Verstand – so verdreht und unordentlich er sein mag – rät mir, es sei ein nicht wiedergutzumachender Fehler, wollte ich die Einstein-Beethoven-Gruppe retten. Und genau diesen Fehler haben die ersten Erneuerer in ihrem Menschheitsbeglückungswahn begangen, als sie in ihrem neuen Prozeß ein Heil für
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