Alicia II
schneller. Ich hoffte so sehr, daß die Beleidigung Cheryl abschrecken würde. Aber ihr Lächeln zeigte deutlich, daß ihr die Einstufung als Hure gar nicht unangenehm war.
»Wie ausführlich ist denn mein Dossier?« fragte ich.
»In einigen Abschnitten sehr ausführlich. Aber es geben so viele Abteilungen Berichte ab, daß es schwer ist, sie alle auf einen Nenner zu bringen.«
»Mir gefällt der Gedanke nicht, daß da ein Ordner voller falscher Informationen oder unrichtiger Schlußfolgerungen herumliegt.«
»Mir auch nicht. Das gefällt keinem von uns. Wissen Sie auch, daß eine Abteilung einen Bericht eingereicht hat, nach dem Sie Sympathien für die Sache der Ausgemusterten haben?«
Ich forschte in ihrem Gesicht nach einem Hinweis, ob sie mich wissen lassen wollte, ich stehe unter Verdacht. Im besonderen bei ihr. Aber sie hatte die Bemerkung hervorgesprudelt wie alles andere auch. Ich versuchte zu kontern, indem ich zustimmte: »Es gehört nicht viel dazu, Sympathie, wie Sie sagen, mit der Sache der Ausgemusterten zu haben.«
»Das ist wahr. Vielen von uns geht es so. Entschuldigen Sie mich, ich habe eine Aufgabe zu erfüllen, aber bleiben Sie bitte in meiner Nähe.«
Alle anderen waren mittlerweile untersucht worden und warteten darauf, daß die Führung weiterging. Cheryl gab einen in vielen Einzelheiten nicht korrekten Abriß der Entwicklung des Erneuerns und des allmählichen Entstehens von Zentren, in denen die Wunder stattfinden konnten.
»Das Washingtoner Zentrum gehört zu den drei ersten. Gewohnheitsmäßig ist es zum Repositum für sehr wichtige Leute geworden, für Leute wie Sie.« Unterdrücktes Gekicher seitens der Teilnehmer, von denen sich die meisten offenbar in ihre Führerin verliebt hatten. »Jetzt warten sie auf ihren Wiedereintritt in eine Welt, in der sie von neuem tätig werden können. Unter ihnen sind die prominentesten Künstler der letzten Jahre – ich meine natürlich ihre Seelen. Und nicht nur Künstler, sondern auch Philosophen und Staatsmänner. Wann immer die Seele eines großen Mannes oder einer großen Frau nach hier verlegt werden kann, greifen wir zu. Wir hier in der Washingtoner Kammer für die Vergabe neuen Lebens besitzen einen Stolz, der, wie Sie mir sicher zustimmen werden, berechtigt ist.«
Sie bekam die warme Zustimmung ihres Publikums, die sie gesucht hatte. Ich ließ mich nicht gern an die Seelen all der bedeutenden Persönlichkeiten im Washingtoner Beinhaus erinnern, auch wenn es PR-Rhetorik war. Ich war bereits besessen von dem Knopfdruck-Rätsel, das Ben mir vorgelegt hatte.
»Und jetzt«, fuhr Cheryl fort, »was den Transport in die …«
»Entschuldigen Sie, Cheryl«, ließ sich eine gezierte Stimme von der Tür her vernehmen. Wir alle drehten uns um und erblickten einen gezierten Menschen, einen zu geleckt und in einen ein bißchen zu knapp sitzenden Anzug gekleideten Mann. Unter dem Blick, den Cheryl ihm zuwarf, wäre ich sofort von der Tür verschwunden.
»Was gibt’s, Jed?« fragte Cheryl etwas gereizt.
»Es sind noch zwei Teilnehmer an Ihrer Führung eingetroffen. Hier entlang, meine Herren.«
Cheryl schaltete auf freundlichen PR-Ausdruck um, als zwei Männer eintraten. Ich weiß nicht, welchen Ausdruck der Schreck auf meinem Gesicht hervorrief. Die beiden Männer waren meine Schatten, die Regierungsagenten, die mich überall in New York verfolgt hatten. Sie sahen beim Näherkommen nicht in meine Richtung. Noch nie hatte mein Herz so gerast. Erst der verlegte Termin, dann das Einspringen Cheryls als Fremdenführerin, und jetzt das Auftauchen von Feinden. Ich schielte zu Stacy hin, konnte aber seine Reaktion nicht erkennen. Vielleicht dachte er daran, daß er
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