Alicia II
Dann riet er mir, die oberen Knöpfe des leichten Mantels, den ich trug, zu schließen. So sei es hier Sitte, belehrte er mich, und ich würde dann nicht ganz so nach einem Außenseiter aussehen. Er kniff mir ein Auge zu und wünschte mir viel Vergnügen.
Selbst in den ruhigen frühen Stunden sah Hough vielversprechend aus. Die Regenbogen-Straßenlaternen ließen mich an die Dächer von Zirkuszelten denken, deren Lichtstrahlen sich in abendlichen Nebeln verfangen. Als es dunkel wurde und die Farben klarer hervortraten, bemerkte ich, daß auf verschiedene Gebäude seltsame abstrakte Zeichen gemalt waren. Bei Tageslicht waren sie nicht sichtbar gewesen.
Einige von ihnen erinnerten mich an die Hexenzeichen der Pennsylvania-Holländer. Jede Fassade schien in einem anderen Stil gehalten zu sein, als sei es die Absicht ihrer Gestalter, dem Betrachter einen nicht chronologischen Überblick über die abstrakte und expressionistische Kunst seit dem 20. Jahrhundert zu geben. Später sah ich auch Landschaften und figürliche Darstellungen. Vielleicht spielte die Geschichte doch mit hinein. Kein Gebäude trug ein Schild, aus dem zu entnehmen war, was sich drinnen abspielte. Eine gerissene Maßnahme, da sie den Forschungstrieb anregte. Tatsächlich wanderten ständig zwei Menschenströme in die Eingänge hinein und wieder heraus. Die ersten paar Minuten meines Aufenthalts innerhalb der Grenzen von Hough spähte ich in mehrere Türen.
Während meinen Augen die wechselnden und langsam klar werdenden Farben gefielen, fand ich viele Geräusche und Gerüche Houghs unerfreulich. Die aus einigen Häusern hervordonnernde Musik war nervenzerfetzend und ein bißchen grauenerregend. Ich habe mich nie mit der aus zu viel Rhythmus und zu wenig Melodie bestehenden Musik jener Periode anfreunden können, mit den von Obszönitäten unterbrochenen sinnlosen Silben und den langen Zitaten aus der klassischen Literatur. Die Gerüche störten mich nicht ganz so. Sie bedienten sich geschickterer Angriffsmethoden.
Zwischen die Düfte nach gutem Essen, Luftreinigern und anderem mischten sich immer wieder ein schneller, Brechreiz erregender Hauch jener Parfüms, die tierischen Ausdünstungen nachempfunden sind (das lag an der starken Sexualität dieser Zeit), ein Gestank nach strahlenerhitztem Essen, das schlechter schmeckt als der Pappteller, auf dem es liegt, oder der Mief jahrhundertelang verlassener Wohnungen. Ich versuchte, den unangenehmen Gerüchen zu entrinnen, indem ich mich in die Mitte der Straße begab, aber dort fand ich die Luft noch drückender. Deshalb ging ich wieder dicht an den Gebäuden entlang und gewöhnte mich an das Odeur.
Als der Himmel dunkel genug geworden war, kam ein Mann in der Kleidung eines Laternenanzünders früherer Zeiten die Straße entlang. Er begrüßte mich, aber da er eine Art Slang sprach, verstand ich ihn nicht. Ich nickte ihm einfach zu. Mit einem Stab, an dessen Spitze sich ein elektrisches Schenkelauge befand, setzte er die Regenbogenlampen in langsame Rotation. Während sie sich drehten, warf jede Oberfläche der zehnflächigen Lampen ihre Farbe auf Häuser und Menschen – und auf die Straße, deren Belag so präpariert war, daß er in weichen Farbbändern erglühte, die sich mit dem Laternenlicht veränderten. Das Wechselspiel des Lichts gab einem das Gefühl, man bewege sich auch dann, wenn man stillstand. Schimmernde Streifen zogen wie ein Fließband unter meinen Füßen dahin.
Ich betrachtete den Bürgersteig so konzentriert und so lange, daß sich eine aus Berufsgründen hier spazierende Dame zu mir hingezogen fühlte.
»Hast du etwas vor, das
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