Alicia II
veranlaßte Selena regelmäßig, mir tröstend zu versichern, es spiele keine Rolle (und natürlich spielte es keine große Rolle für sie, zumindest nicht, nachdem die ersten Jahre unserer Ehe vorbei waren). Ich konnte dann nicht umhin zu denken (durfte es aber nicht aussprechen), daß es, gottverdammt noch mal, doch eine Rolle spielte. Wenn ich an meine frühere Lebensspanne dachte, schlug ich im allgemeinen den leichteren Weg ein und machte Selena für meine Zeiten der Impotenz verantwortlich. Sie war einfach nicht begehrenswert.
Mehr als das, Sex war ihr gleichgültig. Ihre Vorstellung von einer idealen Verbindung war es gewesen, Seite an Seite in metallischen Laboratorien und grell beleuchteten Konferenzräumen zu arbeiten und am Abend (Seite an Seite) den Arbeitstag durchzusprechen. Wenn ich besonders finsterer Stimmung war, dachte ich manchmal, mehr Chancen als bei mir habe sie auf einen Orgasmus, wenn sie sich mit einem Reagenzrohr befriedige.
Selena hatte zur Leistung der Enklave mehr beigetragen als ich. Rückblickend überlegte ich, ob ihre Geschlechtslosigkeit die Grundlage für ihren Erfolg gewesen sein konnte. Selbst mein Seitensprung mit Lanna war kein besonderes Erlebnis gewesen. Wie Männer es häufig tun, suchte ich mir eine Mätresse aus, die meiner Ehefrau so ähnlich war (freundlich, wenn ich versagte, voll höflicher Dankbarkeit, wenn ich Erfolg hatte), daß ich in meinem Sexualleben keinen wirklichen Fortschritt machte. Ich redete mir mit aller Gewalt ein, es gäbe eben Männer, denen die fleischlichen Gelüste, von anderen so prahlerisch zur Schau gestellt, abgingen. Deshalb verbrachte ich den Rest meines Lebens damit, zu der Fußnote beizutragen, die ich bei meinem Tod hinterließ. Als es auf das Ende zuging, gelobte ich mir, bei der nächsten Runde wolle ich die verpaßten sexuellen Gelegenheiten nachholen, sobald ich über einen normal funktionierenden Körper und einen neuen Satz von Stimulationen verfügte. Das, was Ben das Zweite-Lebensspanne-Syndrom nannte, hatte ich im Übermaß.
Tatsächlich wünschte ich mir so viele neue Erfahrungen, daß es mich durchaus die gesamte zweite Lebensspanne kosten mochte, sie zu machen.
Und um alles zu verschlimmern, würde der erste Schritt auf meinem neuen Weg offenbar nicht einfach sein.
Wenn ich jedoch diese bereitwillige, freundliche junge Frau ansah …
»Danke«, sagte sie, nahm das Geld und ließ es durch eine Öffnung auf Hüfthöhe, die ich jetzt erst bemerkte, in ihrem engsitzenden Kleid verschwinden.
Ich erkannte, daß ich die Mühe letzten Endes doch nicht scheuen würde.
10
»Zu dem Handel gehört es, Freund, daß du mich zuerst zu ein paar Stimulanzien einlädst.«
Wieder nahm sie meinen Arm. Bei ihrer Berührung wurde mir warm im Nacken. Hoffnungsvoll.
»Nicht, daß ich wirklich Stimulanzien brauche, um auf einen so gut gebauten Mann wie dich zu reagieren.« Mich packte Begeisterung über meinen neuen Körper. Er war ja auch soviel höher und breiter als der natürliche, mit dem ich geboren worden war und in dem ich trotz allem eine volle Lebensspanne verbracht hatte. »Natürlich gehört es zur Routine, daß ich dir schmeichele. Aber du brauchst keine Schmeichelei, weil es die Wahrheit ist. Das weißt du, nicht wahr? Natürlich weißt du es.«
Mir gefiel, was sie sagte, mir gefiel die Art, wie sie mir Selbstvertrauen einzuflößen versuchte. Andererseits argwöhnte ich, daß alles Routine war – die geschickte Behandlung eines Tölpels. Eine Zeitlang gingen wir schweigend weiter, bis mir einfiel, das Unterhalten könne ebenfalls ein Teil der Routine sein. Ich fragte sie nach ihrem Namen.
»Mary.
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