Alicia II
heute mittag.«
»Ich glaube, das Hotel-Restaurant ist noch geöffnet, wir können …«
»Nein. Nein, ich möchte jetzt nicht unter Menschen sein.«
Ich verstand ihre Heftigkeit nicht, hatte aber nichts dagegen, auf ihren Wunsch einzugehen.
»Übrigens möchte ich mich entschuldigen«, sagte sie.
»Für was?«
»Tun Sie nicht so. Sie wissen schon, für was. Daß ich nicht zum Dinner gekommen bin, wie ich versprochen hatte.«
»Das geht in Ordnung.«
»Wirklich? Das bezweifele ich. Haben Sie lange gewartet?«
»Kurze Zeit.«
»Was lange Zeit bedeutet, ich weiß. O Gott, ich weiß nicht, warum ich …«
»Warum Sie was?«
»Nichts. Ich bin einfach unzuverlässig im Einhalten von Verabredungen.«
»Das werde ich mir für spätere Gelegenheiten merken.«
»Tun Sie das. Ich bitte alle meine Freunde, sich Notizen über mich zu machen. Das befreit mich von einer späteren Verantwortlichkeit ihnen gegenüber.«
»Das verstehe ich schon wieder nicht.«
»Ganz einfach. Ich fühlte mich heute abend schuldig, weil Sie mich nicht kennen. Oder aber Sie merken nicht, daß das Kind, das Sie gekannt haben, sich nicht verändert hat. Wären Sie jemand, der mich kennt, dann wüßten Sie, man muß bei mir damit rechnen, daß ich zu einer Dinnerverabredung oder irgendeiner anderen Verabredung nicht komme, und dann träfe mich keine Schuld. Jetzt kennen Sie mich. Das nächste Mal werde ich mich nicht zu entschuldigen brauchen.«
»Und wenn ich es mir einfallen ließe, zu einer Verabredung mit Ihnen nicht zu erscheinen?«
»Das würde ich nur als gerechte Vergeltung ansehen.« Sie nahm einen großen Schluck Whisky, der besser hinunterzufließen schien als der erste. »Und dann würde ich Sie schlagen.«
»Auch das werde ich mir notieren.«
»Kaufen Sie sich lieber ein Ringbuch. Haben Sie irgend etwas für einen nervösen Magen?«
»Nein, ich glaube nicht. Ich habe das Problem nie. Tut mir leid, Sie sagten, Sie seien ausgehungert. Was Sie wirklich brauchen ist Essen.«
»Davon bin ich nicht ganz überzeugt. Trotzdem könnten Sie recht haben.«
»Ich werde etwas heraufschicken lassen.«
»Nun gut. Aber bestellen Sie etwas Einfaches, okay?«
»Steak und Salat.«
»Einverstanden.«
Ich drückte einen Knopf neben dem Lichtschalter, aktivierte die Tafel an der Wand und gab den Kode für das Essen und einen dazu passenden Wein mitsamt den gültigen Preisen ein.
Als ich mich von der Tafel abwandte, war Alicia nicht mehr da. Sie war aus dem Sessel verschwunden. Einen Augenblick lang hatte ich fürchterliche Angst, sie sei einfach gegangen, ohne mir etwas zu sagen, habe mich wieder im Stich gelassen.
Dann hörte ich im Badezimmer Wasser laufen und wußte, wo sie steckte. Nervös lief ich im Zimmer umher und wartete, daß sie herauskam. Warum benahm ich mich so seltsam, fragte ich mich. Ich war wie ein junger Mann, der Pläne für eine Eroberung schmiedet. Was in meinem Fall absurd gewesen wäre. Mein sexueller Zustand zwang mich, sogar platonische Freundschaften mit Frauen zu meiden. Viele hatten versucht, meine scheinbare Gleichgültigkeit zu durchbrechen, und das Ende war, daß sie sich einbildeten, versagt zu haben, und mich dafür haßten. Aber, das wurde mir plötzlich klar, ich war einfach zu glücklich, Alicia wiedergefunden zu haben, und konnte ihr gegenüber meine übliche Reserve nicht beibehalten.
Als sie aus dem Badezimmer zurückgekehrt war, fing sie an, mir eifrig von ihrer Arbeit zu erzählen. Ein Jahr lang hatte sie sich, nachdem sie alles gelernt hatte, was es zu lernen gab – das heißt, soweit es sie interessierte –, in einer Stellung gelangweilt, die etwas mit der Klassifizierung von Literatur zu tun hatte. Dann bewarb sie sich um einen Posten bei der Regierung, Abteilung soziale
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