Alicia II
Geschichte über mich schreiben wollte. Und ich wartete zwei Stunden lang in der Hotelhalle. Und dachte an Alicia. Als ich schließlich überzeugt war, sie werde nicht mehr kommen, versuchte ich krampfhaft, mir ein paar äußerliche Einzelheiten an ihr ins Gedächtnis zurückzurufen. Wir waren am frühen Nachmittag nur für ein paar Minuten zusammen gewesen. Die starke Helligkeit im Foyer und die ein- und ausgehenden Menschen hatten mich abgelenkt, so daß ich Alicia nicht genau betrachtet hatte. Es war nicht genug Zeit gewesen, und meine Erinnerungen gaben eher einen allgemeinen Eindruck als ein lebendiges Bild wieder. Bestimmt hatte sie mich verwirrt. Ich wußte, ihr Haar war blond, doch den genauen Farbton hatte ich vergessen. War das lebhafte Gelb ihrer Kinderzeit mit zunehmender Reife verblaßt? Ich erinnerte mich, daß sie attraktiv war, und doch konnte ich mir die Züge ihres Gesichts nicht vorstellen. Ihre Augen hatten geleuchtet, doch ihr helles, beinahe graues Blau war meinem Gedächtnis entfallen. Ich hatte bemerkt, daß sie eine gute Figur hatte. Ihre zarte Symmetrie erkannte ich aber erst viel später.
Vielleicht fiel es mir so schwer, ein Bild von der jetzigen Alicia heraufzubeschwören, weil sich ständig das des neunjährigen Kindes dazwischendrängte. Ich ließ meine Gedanken in die Vergangenheit zurückwandern, und ich begann mit den schönen Dingen. Immer mehr Einzelheiten über unsere Invasion des Tanzlokals fielen mir wieder ein. Ich fragte mich, ob ich sie niederschreiben solle, damit ich sie während unserer Mahlzeit als verbale Leckerbissen eine nach der anderen hervorholen könne. Als Alicia nicht kam, vergaß ich diese Details wieder, und ich habe mir nie mehr die Mühe gemacht, sie mir von neuem ins Gedächtnis zurückzurufen.
Von dem Zeitpunkt an, als ich sicher war, sie werde nicht erscheinen, erlebte ich im Geist unerfreulichere Szenen mit ihr, zum Beispiel, wie sie wegging und nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Schließlich verließ ich die Halle und überlegte, ob die junge Frau, die mich heute nachmittag besucht hatte, vielleicht eine Betrügerin gewesen sei, abgesandt, um mich gesellschaftlich zu blamieren.
Ich kehrte in die Suite zurück, die Stacy und ich uns teilten.
Er war noch mit Ben unterwegs. Ich schlief ein und erwachte von einem recht autoritären Klopfen an der Tür. Alicia gestand später, sie habe nicht mit soviel Höflichkeit von mir gerechnet, als sie sich mitten in der Nacht auf meiner Schwelle materialisierte. Der Eindruck war teilweise darauf zurückzuführen, daß ich mein Lächeln ebenso sorgfältig ziselierte, wie ich meine zerdrückte Kleidung glattstrich. Alicia war noch in Straßenkleidung und war jeder Zoll berufstätige Frau.
»Ich habe Sie aufgeweckt.«
»Das macht nichts, macht gar nichts. Ich liebe es, von Visionen der Lieblichkeit geweckt zu werden.«
Merkwürdig, daß ich, normalerweise so kalt zu Frauen, mit ihr gleich von Anfang an scherzen konnte. Aber vielleicht war es doch nicht merkwürdig.
»Ich hoffe, diese Bemerkung ist ironisch gemeint. Sollte sie es nicht sein, würde ich mich nämlich nicht sehr darüber freuen.«
»Verstehe ich nicht.«
»Ich meine diese Vision der Lieblichkeit. Darf ich eintreten?«
»Natürlich. Setzen Sie sich in den Ledersessel.«
»Haben Sie etwas Trinkbares?«
»Einen guten Whisky.«
»Gießen Sie mir schnell etwas ein.«
Sie nahm das Glas mit einem bezaubernden Lächeln entgegen und trank es durstig aus. Dann legte sie die Hand auf die Brust und hielt den Atem an. Ihre Augen wurden feucht.
»Was ist los?«
»Nichts. Ich hätte etwas essen sollen, das ist alles.«
»Sie haben kein Dinner gehabt.«
»Nicht einen Bissen seit
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