Alicia II
Peinigern ein Exempel zu statuieren. Die Polizei mußte gerufen werden, um die, die in die Kammer mußten, von denen zu trennen, die bloß Zuschauer waren. Beinahe wäre es zu einem Aufstand gekommen, aber St. Ethel beruhigte die Zornigen in der Menge, indem sie ihnen von ihrem Platz in der Schlange aus zurief. Stunden vergingen, und die ganze Zeit hielten die Polizisten Waffen auf die Menge gerichtet. Leute riefen St. Ethel zu, und sie antwortete ihnen. Die Antworten wurden alle aufgezeichnet und sind Bestandteil unseres Rituals. Als die Gruppe, zu der sie gehörte, in die Kammer gerufen wurde, trat St. Ethel aus der Reihe, auf die Zuschauer zu. Die vordersten drängten ihr entgegen, aber die Polizisten hielten sie zurück. Nachdem sie vielleicht ein halbes Dutzend Schritte getan hatte, wobei die Augen der Menschenmasse und der Polizisten an ihr hingen, blieb St. Ethel stehen. Sie hatte eine große Tasche bei sich. Daraus nahm sie einen kleinen Behälter mit etwas, das sich später als Benzin herausstellte, und übergoß sich in einer schnellen Bewegung damit. Beinahe ebenso schnell hatte sie ein Streichholz angerissen und an ihre Kleidung gehalten. Die Flammen loderten um sie empor, ehe noch irgendwer recht begriffen hatte, was geschah. Das Übrige kannst du dir vorstellen – die Menschenmassen tobten, die Polizisten stürzten zu St. Ethel, versuchten, das Feuer zu löschen …«
»Selbstopferung, das ist …«
»Ich weiß, ich weiß. Auch das ist eine oft und erfolgreich von Märtyrern angewandte Methode. Aber ich bin noch nicht fertig. Die Versuche, das Feuer zu löschen, fruchteten nichts. Die hilflose, verängstigte Menge sah zu, wie es weiterbrannte. Es heißt, die Flammen hätten beinahe den Himmel erreicht. Mehrere Zuschauer an verschiedenen Punkten in der Menge sagten aus, sie hätten St. Ethels Stimme ganz deutlich aus einer Höhe von wenigstens fünfzig Fuß über dem Boden vernommen. Sie hörten sie nicht nur, sie berichteten auch, sie habe glücklich gelacht.«
»Eindrucksvoll, das will ich deiner Märtyrerin zugestehen.«
»Wir sind immer noch nicht fertig. Siehst du, schließlich brannte das Feuer nieder, und den Blicken bot sich nicht etwa ein Körper dar, der, statt in der Erneuerungskammer verwertet zu werden, zu einem Häufchen Knochen und Asche verbrannt war. Nein, St. Ethel stand an der gleichen Stelle, wo sie sich in Brand gesteckt hatte. Ihr Körper war immer noch heil, es war keine Verbrennung daran. Und sie lebte.«
Bru hielt inne. Ich hatte den Verdacht, daß die meisten Bekehrer des St.-Ethel-Glaubens an diesem Punkt eine Pause machten.
»Nun«, warf ich ein, »ich will einräumen, daß ihre kleine Feuer-Show eine überzeugende Vorstellung war. Es mag sogar ein Wunder gewesen sein. Die Möglichkeit bezweifele ich nicht. Aber eine Selbstopferung kann mit Hilfe von Chemikalien und der richtigen Kleidung vorgetäuscht werden.«
Bru seufzte.
»Und du mußt dir klarmachen, daß jeder Einwand, den du dir ausdenken kannst, in den seither verflossenen Jahren immer wieder und wieder diskutiert worden ist. Nicht nur von Zweiflern, sondern auch von Gläubigen, die das Ritual der Kritik durchmachen mußten, um ihren Glauben zu festigen. Ich kann nur auf dasselbe Beweismaterial hinweisen, das jeder von uns heranzieht, sobald die Frage aufgeworfen wird. Zusätzlich zu dem Zeugnis der Zuschauer gibt es beschworene Aussagen von Technikern, die St. Ethels Kleider später inspizierten und keinerlei Rückstände von Chemikalien oder eigens präpariertem Stoff fanden. Sie hatte die gleichen Sachen an wie immer. Ein einfaches bedrucktes Kleid. Das Feuer war echt. Ob du es glaubst oder nicht, wir wissen, daß das Feuer echt war.«
Bru warf einen Blick zu dem Schrein hinüber, als erwarte sie, daß er in diesem Augenblick in Flammen aufgehe, um die Wahrheit ihres Glaubens zu bestätigen.
»Nach dem Feuer nahm St. Ethel ihren Platz in der Schlange wieder ein, und alles starrte ihr schweigend nach, als sie im Beinhaus verschwand. Die Leute blieben stundenlang als Totenwache stehen. Der letzte Teil des Wunders sollte jedoch erst einige Zeit später offenbart werden. Wir haben Freunde, so eine Art von Sympathisanten, die in der Erneuerungskammer arbeiten, und sie teilten uns die Geschichte mit. Im Augenblick ihrer Auslöschung verschied St. Ethel friedlich, beinahe selig, wenn du es akzeptieren willst, daß diese Beschreibung mehr ist als nur der Glaube an eine Legende. Ihr Körper wurde ebenso behandelt,
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