Alicia II
Salat.«
»Einverstanden.«
Ich drückte einen Knopf neben dem Lichtschalter, aktivierte die Tafel an der Wand und gab den Kode für das Essen und einen dazu passenden Wein mitsamt den gültigen Preisen ein.
Als ich mich von der Tafel abwandte, war Alicia nicht mehr da. Sie war aus dem Sessel verschwunden. Einen Augenblick lang hatte ich fürchterliche Angst, sie sei einfach gegangen, ohne mir etwas zu sagen, habe mich wieder im Stich gelassen.
Dann hörte ich im Badezimmer Wasser laufen und wußte, wo sie steckte. Nervös lief ich im Zimmer umher und wartete, daß sie herauskam. Warum benahm ich mich so seltsam, fragte ich mich. Ich war wie ein junger Mann, der Pläne für eine Eroberung schmiedet. Was in meinem Fall absurd gewesen wäre. Mein sexueller Zustand zwang mich, sogar platonische Freundschaften mit Frauen zu meiden. Viele hatten versucht, meine scheinbare Gleichgültigkeit zu durchbrechen, und das Ende war, daß sie sich einbildeten, versagt zu haben, und mich dafür haßten. Aber, das wurde mir plötzlich klar, ich war einfach zu glücklich, Alicia wiedergefunden zu haben, und konnte ihr gegenüber meine übliche Reserve nicht beibehalten.
Als sie aus dem Badezimmer zurückgekehrt war, fing sie an, mir eifrig von ihrer Arbeit zu erzählen. Ein Jahr lang hatte sie sich, nachdem sie alles gelernt hatte, was es zu lernen gab – das heißt, soweit es sie interessierte –, in einer Stellung gelangweilt, die etwas mit der Klassifizierung von Literatur zu tun hatte. Dann bewarb sie sich um einen Posten bei der Regierung, Abteilung soziale Probleme. (Ich unterbrach sie mit der Frage, welche Regierung heutzutage an der Macht sei. Sie antwortete: »Die übliche. Ist es nicht immer die übliche?« Ich versuchte, mich an eine Zeit zu erinnern, als die politische Struktur der Welt für mich noch soviel bedeutet hatte, daß ich mir wünschte, sie zu erforschen. Es war mir immer klar gewesen, daß es eine Menge Leute gab, deren Aufgabe das Regieren war, anonyme Leute, die die Arbeit auf sich nahmen, weil sie irgendwie notwendig war, und ich hatte mir nie viel Gedanken darüber gemacht, wer sie waren und was sie taten.) Sobald Alicia sich endgültig qualifiziert hatte, wurde sie auf ihren eigenen Wunsch hin gleich in den Außendienst geschickt. Sie hatte hauptsächlich deswegen mit Ausgemusterten arbeiten wollen, weil sie bei ihrem Test nur ganz knapp durchgeschlüpft war. Von den Spezialisten für soziale Probleme in der Kartei der Agentur legten nicht viele Wert darauf, in direkten Kontakt mit Ausgemusterten zu kommen, deshalb hatte Alicia viele und unterschiedliche Möglichkeiten. Sie setzte mir auseinander, wie schwierig es sei, die Ausgemusterten emotional zu erreichen, besonders jene, die gegen das System aufbegehrten, und ich dachte dabei, daß ich mich seit vielen Jahren in keiner Gesellschaft so wohl gefühlt hatte wie in ihrer. Nicht einmal in der Bens und ganz gewiß nicht in der Stacys, der mir zu oft auf die Nerven ging und unberechenbar war. Tatsächlich gab es nur einen Vergleich, und das war mein Zusammensein mit Alicia während meiner Rekonvaleszentenzeit.
Das Essen kam. Alicia nahm es dem Etagenkellner vom Tablett und sagte ihm, sie wolle sich nicht von ihm bedienen lassen. Sie schlang das Steak und den Salat in sich hinein. Ich konnte mir vorstellen, daß sie soziale Probleme auf die gleiche Art in Angriff nahm. Eigentlich hätte ich über so etwas hinwegsehen müssen, aber es machte mir richtig Freude, wenn sie ein heruntergefallenes Salatblatt vom Schoß nahm, es schwenkte, um ein Argument zu unterstreichen, es in den Mund schob und beim Kauen auf meine Antwort wartete. Als sie mit dem Essen fertig war, schien sie mit neuer Energie geladen. Sie ging im Zimmer umher, sammelte unser Geschirr und unsere Bestecke ein und stapelte alles auf dem Tablett. Sie trug ihr Weinglas von einem Platz zum anderen, stellte es ab, entfernte sich von ihm, kehrte zu ihm zurück, ergriff es und trug es an eine andere Stelle, wo sie es von neuem abstellte.
Nach mehreren Minuten hektischen Bewegens setzte sie sich plötzlich hin und verfiel gleich darauf in eine seltsam melancholische Stimmung. Sie bat um mehr Wein, und als ich ihn ihr ins Glas goß, berührte sie zärtlich meinen Handrücken.
Aber es war die Zärtlichkeit einer Nichte, und deshalb beunruhigte sie mich nicht. Du bist okay, Onkel, schien sie mir mit der Geste zu sagen, auch wenn du das Denken als schlechte Angewohnheit aufgegeben hast. Ich
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