Alicia
Mund war ein grimmiger Strich, und die Muskeln unter seinen Wangenknochen zuckten. Sie hatte eigentlich erwartet, daß er die Bemerkungen seiner Landsleute gern hörte, weil sie bezeugten, daß sie ihm als Kriegsbeute zugefallen war. Statt dessen blickte er mit fast traurigen Augen zu ihr hinunter, als wollte er sie um Entschuldigung bitten.
Die Trauung dauerte nur sehr kurz. Tatsächlich kam ihr diese Zeremonie gar nicht wie eine Hochzeit vor. Alicia stand vor dem Priester und begriff in diesem Augenblick, wie allein sie war. Sie hatte sich ihre Hochzeit ganz anders vorgestellt — im Hochland im Frühjahr, wenn die Erde wieder zum Leben erwachte, umgeben von ihren Freunden und mit einem Mann zur Seite, den sie kannte.
Sie bewegte den Kopf und sah Stephen an. Sie knieten Seite an Seite in Sir Thomas kleiner Hauskapelle. Stephen hatte den Kopf andächtig nach vorn geneigt. Wie weit er von ihr entfernt war, wie entrückt! Und wie wenig sie doch von ihm wußte! Sie waren in zwei verschiedenen Welten aufgewachsen, in ganz verschiedenen Verhältnissen. Ihr Leben lang hatte man ihr beigebracht, daß sie Macht hatte und Rechte. Und daß ihr Volk sich an sie wenden würde, wenn es Hilfe brauchte. Doch dieser Engländer hatte nur eine Gesellschaft gekannt, wo man Frauen zum Nähen und zur Willfährigkeit gegenüber den Männern erzog. Und mit diesem Mann, der Frauen als Eigentum betrachtete, mußte sie nun ihr Leben verbringen.
Und heute nacht… Ihre Gedanken kamen zum Stillstand, weil sie nicht an die kommende Nacht denken wollte. Dieser Mann war ein Fremder für sie… ein völlig Fremder. Sie wußte nicht, was er gerne aß, ob er lesen oder singen konnte und aus welcher Familie er stammte. Doch sie hatte zu ihm ins Bett zu steigen und die intimsten Dinge mit ihm zu teilen. Wie sollte sie sich da wohl freuen können!
Stephen drehte sich ihr zu und sah sie an. Er bemerkte, wie sie befremdet die Brauen runzelte. Er lächelte kurz, um sie zu ermutigen; doch sie wandte sogleich ihr Gesicht wieder ab und sah auf ihre gefalteten Hände.
Für Alicia schien der Tag kein Ende nehmen zu wollen. Sie saßen an einem langen Tisch mit den Männern, und je mehr sie schmausten und tranken, um so derber wurden ihre Späße. Alles schien sich nur um das Ereignis der Hochzeitsnacht zu drehen, und bei jeder Bemerkung wurde ihr Haß auf die Engländer größer. Sie nahmen kein Rücksicht auf die Braut. Sie war nichts als eine Trophäe.
Alicia aß kaum etwas und trank noch weniger. Sie spürte, wie sich alles in ihr verkrampfte, als die Sonne immer tiefer sank. Sie versuchte sich einzureden, daß sie eine mutige Frau war. Mehrere Male hatte sie die Raubzüge gegen die Rinderherden der MacGregors angeführt. Sie hatte, zusammengerollt in ihrem Plaid, im Schneesturm nachts im Freien geschlafen. Sie hatte sogar an der Seite ihres Vaters gegen die Engländer gekämpft. Sie wußte, wie eine Paarung ablief, doch von den Gefühlen, die sie begleitete, hatte sie keine Ahnung. Würde sie sich dabei verändern? Gehörte sie danach diesem Stephen Ascott, wie er das jetzt schon zu glauben schien? Morag hatte gesagt, das Schlafen bei einem Mann sei ein erfreuliches Erlebnis. Alicia hatte Männer gesehen, die weich wurden wie Wachs, weil sie glaubten, verliebt zu sein. Sie hatte auch Frauen erlebt, die glücklich und aufgeregt waren, jedoch in eine plumpe und träge Sattheit verfielen, sobald ihnen ein Mann den Ring an den Finger steckte. Nicht nur die Paarung schien sich im Ehebett zu vollziehen, sondern auch etwas Geheimnisvolles, vor dem sie sich fürchtete.
Als Morag hinter ihren Stuhl trat und Alicia zuraunte, es sei Zeit, zu Bett zu gehen, wurde Alicias Gesicht weiß wie ein Laken. Sie umkrampfte mit beiden Händen die geschnitzten Löwenköpfe an den Stuhllehnen.
Stephen hielt einen Moment ihren Arm. »Sie sind eifersüchtig. Bitte, achtet nicht auf sie. Bald werden wir hinter uns die Tür zumachen und sie ausschließen können. «
»Ich würde lieber hierbleiben«, gab Alicia böse zurück und folgte Morag dann aus der großen Halle.
Morag sagte kein Wort, während sie die Haken auf dem Rücken des silberfarbenen Kleides löste. Alicia benahm sich wie eine gehorsame Puppe, die sich nackt zwischen Laken und Zudecke betten ließ. Rab legte sich dicht neben seine Herrin auf den Boden.
»Komm, Rab«, rief Morag. Der Hund rührte sich nicht. »Alicia! Schickt den Hund aus dem Zimmer. Ihm wird es nicht gefallen, wenn der Hund heute nacht
Weitere Kostenlose Bücher