Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne
wie eine Armee, die sich darauf
vorbereitete, Eindringlinge zurückzuschlagen und zu vertreiben
– ein Punkt, auf dem Andrews immer wieder herumritt. Sie sahen
eher aus wie unschuldige Schüler mit viel Zeit. Die Gruppe, die
als erste die Burg erreicht hatte, befand sich jetzt zwei Wochen
später erst auf halber Höhe der langen Spirale. Hier
bedeckten die Schriftzeichen die Wand vom Boden bis zum oberen
Rand.
Dorthy verbrachte die folgenden beiden Wochen damit, die
Verhaltensweisen der Hüter bei ihrer Ankunft zu studieren (wobei
sie nichts fand, das sich nicht mit der einfachsten
Poisson-Distributionsmethode hätte analysieren lassen) und sie
kurzen Sondierungen ihres TALENTS zu unterziehen. Sie wollte Andrews
unbedingt ihre Theorie beweisen und die Hüter als das entlarven,
was sie ihrer Ansicht nach waren – nicht die Vorboten
irgendeiner größeren Macht, sondern ihre verlorenen
Söhne, die ganz allmählich wieder zu sich selbst fanden.
Für ihre plötzliche Abneigung, nach Camp Zero
zurückzukehren, fand sie keine Erklärung. Vor ihrem
Abenteuer in der Wildnis hätte sie sich wegen des gebrochenen
Versprechens aufgeregt, aber die Tatsache dann, ehrlich gesagt, mit
der gleichen Resignation akzeptiert, mit der sie es als Kind geduldet
hatte, daß ihr Vater ihr das Geld, das sie während ihrer
Vertragslaufzeit am Kamali-Silver-Institut verdiente, wegnahm.
Angel Sutter hielt sie schlichtweg für verrückt –
und sagte ihr das auch bei der ersten Gelegenheit.
»Vielleicht haben Sie recht«, meinte Dorthy mit einem
kleinen Lächeln.
»Ich an Ihrer Stelle wäre auf der Stelle
mitgeflogen.« Sutter schnippte mit den Fingern. »Sie
wollten doch von Anfang an hier weg – nach dem Aufstand zu
urteilen, den Sie im Lager damals gemacht haben.«
»Die Dinge haben sich eben geändert«, antwortete
Dorthy unbehaglich, senkte den Kopf vor Sutters offenem,
prüfendem Blick und schaute zum lisch am anderen Ende des hell
erleuchteten Gemeinschaftszeltes hinüber, an dem ein paar
Techniker ihre Mahlzeit verzehrten. Bei der
Rund-um-die-Uhr-Überwachung der Burg war gerade
Schichtwechsel.
»Das stimmt«, murmelte Sutter.
»Ich weiß zwar nicht genau, warum – aber ich
möchte Andrews unbedingt davon überzeugen, daß er mit
den neuen Männlichen, seinen Hausmeistern, falsch liegt«,
gestand Dorthy. »Ich will es mir nicht so einfach machen, ihn
– wie euch alle – zum Teufel zu wünschen und mich
nicht weiter darum zu scheren.«
»Duncan etwas ausreden zu wollen, von dem er überzeugt
ist – das ist nicht leicht, Schätzchen.«
»Vielleicht versuche ich nur vor mir selbst zu rechtfertigen,
was ich dort draußen erlebt habe – den Tod Arcadys und der
Zwillinge…«
Ihre Worte klangen unbeholfen und falsch, sie machten das Sterben
der drei Kameraden irgendwie trivial. Sie wurde verlegen und
errötete. Ganz tief im Innern fühlte sie, daß das
nicht die ganze Wahrheit war, sondern nur das Portal zu einer
tieferen, dunkleren, unergründlichen Wahrheit.
Sutter preßte die Lippen zusammen. »Hören
Sie«, sagte sie schließlich, »ich will mich hier
nicht in irgendwelchen Andeutungen ergehen. Ich hatte mir schon
gedacht, daß Sie und Arcady miteinander geschlafen haben. Sie
brauchen mir nicht darauf zu antworten, wenn Sie nicht
wollen…«
Einen Moment stand Dorthy wie erstarrt. Um sie herum schien alles
zu versinken. Zögernd antwortete sie dann: »Ja, es stimmt,
aber ich glaube nicht, daß es einem von uns beiden etwas
bedeutete. Das Schicksal hat uns einfach in die Arme des anderen
getrieben, das ist alles. Sie müssen wissen, es geschah erst,
als wir den See erreichten. Dort, wo sich das Lager befinden sollte.
Wir waren sicher beide davon überzeugt, daß wir sterben
würden, glaubten nicht mehr daran, daß wir den hohen
Kraterwall überwinden würden. Alles schien in diesem Moment
unwichtig geworden zu sein.«
»Vergessen Sie, was ich gesagt habe, Honey. Ich bin halt von
Natur aus verdammt neugierig. Ich weiß nicht, ob es gut
für Sie ist, nach all dem, was Sie durchgemacht haben, noch hier
zu sein. Selbst Duncan ist nicht überglücklich
darüber, wenn er es auch zu schätzen weiß, daß
Sie und Ihr TALENT weiter für ihn arbeiten.«
»Jetzt vor allem davonzulaufen scheint mir auch nicht die
beste Lösung zu sein, zumal ich ohnehin nur bis Camp Zero
käme. Ich säße auch dann immer noch auf diesem
verdammten Planeten fest und würde unter den frostigen Blicken
von Colonel Chung Däumchen drehen.« Dorthy
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