Alien 3: Ewiges Licht
Gespräch auf dem Balkon
nicht mehr gesehen. Und obwohl sie viele Monate damit verbracht
hatte, das Schiff zu durchforschen, hatte sie nicht mehr als einen
flüchtigen Blick auf jemand sonst geworfen.
So groß war das Schiff.
Es erinnerte etwas an ein Wrack, auf das sie getroffen war, als
sie am Großen Barrier Reef tauchte. Australien. Der Pazifik.
Sonnenlicht, das senkrecht aus dem weiten blauen Himmel brannte und
durch blutwarmes Wasser auf Korallenriffe traf. Zuerst hatte sie
geglaubt, das Schiff wäre nur ein weiterer Grat in der
Topographie des Riffs. Und dann konnte sie die Reihe von Bullaugen
erkennen, durch die hellbunte Fische schwammen. Die zerbrochene
Oberstruktur war mit weißem Kalk bedeckt. Die Linie einer
Stange trug Fahnen von Seetang mit sich… Alles war
überwachsen und verwirrt, verkrustet durch die purpurne, braune
und weiße kalkige Architektur der geduldigen kleinen
Korallentiere. Das Wrack war ein Überbleibsel von den Schiffen,
die die Weltherrschaft von Rußland und den Vereinigten Staaten
beendet und das Interregnum eingeleitet hatten.
Barlstilkins Schiff war ebenso alt wie das im Riff steckende
Wrack, ein Konglomerat aus mindestens einem halben Dutzend
Fahrzeugen, die in einen Tunnelkern aus Mondschlacke eingefügt
waren, übersät mit Kuppeln für Lebenserhaltungssysteme
und einem großen Reaktionsmotor. Vielleicht war es
ursprünglich eine Arcologie gewesen, eines der sogenannten
unabhängigen Habitate, die einmal draußen jenseits Luna im
Lagrangeschen Librationspunkt L5 gehangen hatten. Das würde den
Gesteinskern erklären, einen Zufluchtsplatz gegen
Sonneneruptionen.
Ein paarmal begegnete Dorthy Mitgliedern der Mannschaft –
kleine respektvolle Leute, so scheu und beweglich wie wilde Affen. In
enge einteilige schwarze Overalls gekleidet, die ihre Hände und
Füße frei ließen, mit geschorenen Köpfen und
einer Haut im Ton matter Bronze und Mongolenfalten in den
Augenwinkeln, sahen sie für Dorthy alle gleich aus. Seltsame
zwergenhafte ästhetische Mönche, die von Sonnenstrahlen und
dem Dampf lebten, der aus frisch gekochtem Reis aufsteigt. Vielleicht
waren es Klone, aufgezogen in Tanks und allein durch Hypädie
erzogen. Sie sprachen keine ihr bekannte Sprache, weder Japanisch
noch Portugiesisch, Englisch oder Polynesisch. Sie versuchte sogar
ihr kümmerliches Russisch. Aber die Leute lächelten nur,
verbeugten sich und rannten fort durch gewundene Gänge oder in
enge Röhren, wobei sie erstaunlich perfekte Manöver in
Schwerelosigkeit ausführten, denen Dorthy gar nicht folgen
konnte.
Nur die Kuppeln der Lebenssysteme hatten künstliche
Schwerkraft. Im Innern des Felskiels des Schiffs konnte Dorthy
mühelos durch das Labyrinth von Korridoren fliegen, über
Laufstege, die sich wie ein Netzwerk durch riesige leere
Frachträume zogen, und um Tanks, die bei der Berührung
tönten. Im Zentrum des Kiels, sicher vor mutierender Strahlung,
blubberten in einer seitlichen Kaverne mit makellos sauberen
Wänden aus aufgesprühtem weißen Kunststoff Reihen von
algenfarbenen Röhren im Schein künstlichen Sonnenlichts.
Dahinter waren Teile eines unglaublich alten Shuttles in einer
Schicht schmutziger Schlacke eingebettet. Die röhrenförmige
Kabine wurde durch schwache gelbe Fluoreszenzlampen erhellt. Der
grobe Plastikbezug einer Doppelreihe von Sitzen knisterte unter
Dorthys Fingern. Saubere Blocks mit kana- und kanji- Beschriftung gaben überholte Anweisungen für
längst verstorbene Passagiere bei Schwerelosigkeit.
Mitsubishi-Nippon-Service für orbitale Flüge… Aus der
Zeit vor dem Verlust von Japan. Das trieb ihr Tränen in die
Augen, eine unerwartete Sehnsucht nach einem Ruhm, von dem sie nur
durch die müßigen Prahlereien ihres Vaters gehört
hatte.
Es war immer präsent, alles. Alles würde wiederkommen,
wenn sie es verließe: Ihre kurze Kindheit in der kleinen
westaustralischen Walfangstadt; die spartanischen Wohnblocks der
Company; ihr Vater, bitter, weil seine Familie ihn gezwungen hatte,
eine gaijin zu heiraten; ihre Mutter, ausgezehrt durch Armut
und die unmöglichen Forderungen ihres Gatten; der schwache
betrunkene Onkel Mishio; die arme Hiroko, ihre zweimal verlorene
Schwester… Als Dorthy am Ende ihres Kontraktes mit dem
Kamali-Silver-Institut aus dem Orbit heruntergekommen war, war sie
zwanzig Jahre alt gewesen, und ihre Kindheit war längst vorbei
– irgendwann nach ihrem ersten Selbstmordversuch während
des kontrollierten Erwachens ihres TALENTES. Sie war eitel
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