Alien Earth - Phase 1
Beobachtung ab, betrieb zu seiner eigenen Verwunderung einen Aufwand, der in die kostbare Zeit einschnitt, die er für das Halsband zu Verfügung hatte. Es war verschwendete Zeit, er wusste es. Was kümmerte ihn, was Blitz trieb? Abstand. Das war die Lösung. Blitz nahm sich den Abstand, den sie brauchte. Den er brauchte. Er sollte froh sein, dass es so war. Blitz war eine flüchtige Erscheinung, so oder so. Er würde sie mit dem gesamten Zug von Irren hinter sich lassen, wenn er nach Kairo aufbrach. Doch so sehr er sich bemühte, in Gedanken Abstand zu gewinnen, es half nichts. Das Rätsel Blitz hatte ihn gepackt und ließ ihn nicht mehr los.
Nach zwei Dutzend Blitz-losen Tagen zog Wieselflink ein erstes Fazit: Blitz verhielt sich wie immer. Mal überschäumend im Zorn auf sich selbst, wenn an einem Abend Wieselflink blitzschnell Symbol um Symbol deutete, während sie sie nur anglotzte, ohne sie zu verstehen. Mal überschäumend fröhlich, wenn das Spiel andersherum lief und sie Wieselflink ihre Weisheiten verkündete, die so gar nicht zu einer Zehnjährigen passen wollten. Mal hämisch, wenn sie neben einem angeknabberten Kabel eine gegrillte Maus fand. Mal in Tränen, wenn sie eine gegrillte Maus fand. Wieselflink konnte kein Muster erkennen. Bis auf eines: Blitz war müde. Aber was bedeutete das schon? Was immer das Mädchen an diesen langen Tagen treiben mochte, Wieselflink war sicher, dass sie nicht still auf dem Fleck saß. Nicht länger jedenfalls, als man für eine Runde Bänderraten brauchte. Er traute ihr alles zu, selbst, dass sie sich aus dem Zug und wieder hinein schlich, aber eben nicht stillzusitzen. Blitz blieb in Bewegung. So wie er selbst.
Und dann, eines Abends in der Werkstatt, schlief sie ein.
»Orange Kreise mit grünen Flecken?«, fragte er und strich über das Alienband, das sie ihm eben gegeben hatte. »Keine Ahnung, was das bedeuten soll. Vielleicht: ›Esst ihr Aliens auch so gerne Orangen wie wir?‹«
Kein Kichern.
»Was meinst du, Blitz? Oder vielleicht: ›Ich bin eine Orange - iss mich!‹«<
Kein Kichern, keine Antwort.
»Blitz?«
Sie war nach hinten gesunken. Die Arme, die sie um den Leib geschlungen hatte, waren nach vorn gefallen. Auf dem linken Unterarm war ein riesiger Bluterguss, viel größer als das Dauermal an Wieselflinks Hals.
»Blitz? Was ist das?« Er stand auf, beugte sich vor, um sich ihren Arm aus der Nähe anzusehen.
Sie schreckte auf, drückte den linken Arm gegen sich, reckte ihm den anderen abwehrend entgegen. »Bleib weg von mir!«
»He, keine Angst! Ich wollte nur …«
»Bleib weg! Keiner kriegt Blitz!«
Er sank langsam zurück auf den Boden. »Siehst du? Ich will dir nichts tun. Ich wollte nur sehen, ob du in Ordnung bist.«
»Wieso?«
»Dein Arm. Du hast einen riesigen blauen Fleck.«
»Und wenn schon? Was geht dich das an?«
»Nichts. Ich dachte nur, ich könnte dir vielleicht helfen.«
»Helfen? Mir?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich brauche keine Hilfe. Keiner kriegt Blitz!«
Abstand. Hilfe war das Gegenteil von Abstand. »Ich will dich nicht kriegen. Ich will dir helfen«, sagte Wieselflink.
»Helfen …?« Sie sank zurück, die Augen geschlossen. Die Spannung hatte ihren Körper verlassen. Wieselflink hatte sie noch nie so erschöpft gesehen. Hätte er jetzt versucht, sie zu fangen, er hätte sie gekriegt. Sie hätte niemals schnell genug davonflitzen können.
»Helfen …?« Sie öffnete die Augen - und sah ihn wieder mit diesem ernsten, erwachsenen Blick an, wie damals, als sie das erste Mal in der Werkstatt gestanden und ihn erpresst hatte, mit ihm zu spielen. »Du willst mir helfen?«
»Ja«, sagte er, obwohl er sich nicht mehr sicher war. Hilfe. Das Gegenteil von Abstand. Eine Dummheit. Blitz war Ballast.
»Dann nimm mich mit.«
»Mit? Was meinst du damit? Ich nehme dich jeden Tag mit auf meine Runde, wenn du es willst. Gerne sogar. Das weißt du doch.«
»Nein, nicht mit durch den Zug. Mit nach draußen.«
»Du …«
»Erzähl mir nichts. Ich bin nicht blöd. Ich weiß, was du vorhast. Ich habe Augen im Kopf. Kannst so viel aufräumen hier drinnen, wie du willst.«
»Blitz, du weißt nicht, was du da redest.«
»Doch, ich weiß es genau. Du bastelst an deinem Halsband herum. Jede Nacht. Du willst raus, nach draußen. Und ich will es auch. Ich will raus. Weg hier. Du flitzt gut, ich flitze besser. Also, gehen wir zusammen?«
Eine Erpressung. Und ein Angebot. Zusammen. Zwei Flitzer. Zusammen schnell genug?
»Sag
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