Alien Earth - Phase 3
auch für sie tickt die Uhr. Und das ist der eigentliche Grund, wieso nur ein Gefängnis als Erklärung für Sigma V infrage kommt: die Zeit. Kriege, Katastrophen, Seuchen - das sind unmittelbare Notlagen. Man muss sich sofort aus ihnen befreien, oder man ist tot. Die Seelenspringer
haben sich aber Zeit gelassen, viel Zeit. Nachdem ihr Schiff in den Orbit gegangen war, brauchten sie allein sieben Jahre, um einen ersten Transfer zu bewerkstelligen. Und davor? Das Schiff muss Jahrtausende unterwegs gewesen sein, wenn nicht länger, um die Erde zu erreichen. Und jetzt frage ich dich: Was für eine Art Wesen kann einen Plan über einen derartigen Zeitraum durchführen?«
»Lebewesen, die das eigene Wohlergehen und Überleben hinter das ihrer Art stellen.«
»Das ist denkbar. Aber wenn die Seelenspringer, die auf die Erde gekommen sind, eines verbindet, dann ist es ihr unbedingter Wille zu leben. Nicht als Art, sondern als Individuum. Also haben wir es mit Einzelwesen zu tun. Wie kann ein Einzelwesen Jahrtausende auf eine Fluchtmöglichkeit warten? Indem es keinen Körper besitzt, der altert. Es ist eine Seele. Und was für ein Ort kann das sein, in dem Seelen zwar in Sicherheit leben, der ihnen aber so zuwider ist, dass sie ihre Unsterblichkeit riskieren, um von ihm zu fliehen? Ich sage es dir: ein Gefängnis.«
Ekin ließ sich Zeit mir ihrer Entgegnung. Sollte Carmel den Augenblick genießen, sollte er glauben, dass er ihr voraus war, dass er durchschaute, was gespielt wurde. »So ist es«, sagte sie schließlich. »Nur, dass es im großen Gefängnis von Sigma V beinahe unendlich viele kleine Gefängnisse gibt. Für jede Seele eines. Jede von ihnen lebt in ihrem eigenen Gefängnis, in ihrer eigenen Welt.«
Wolf knurrte leise. Er schüttelte sich, als hätte Ekins Enthüllung ihn unmittelbar betroffen.
»Wie eine Taschenwelt?«, fragte Carmel.
Der Lauf der Pistole hatte sich im Lauf der letzten Ausführungen gesenkt. Er zeigte jetzt auf den Boden vor Ekin. Der Anfang war gemacht.
»In gewisser Weise ja. Aber Menschen begeben sich in der Regel freiwillig in Taschenwelten, und außerdem sind sie primitiv, verglichen mit den Seelengefängnissen auf Sigma V. Es gibt keine Ewigkeit in einer Taschenwelt. Irgendwann stirbt
der Körper des geflüchteten Menschen, oder der Akku läuft leer. Die Seelen auf Sigma V besitzen keine Körper mehr. Sie sind für immer gefangen.«
»Oder geborgen«, widersprach Carmel. »Wieso sollten diese Seelen fliehen? Was könnte ihnen die Erde schon bieten, das gegen eine Traumwelt ankommt? Auf der Erde erwarten die Aliens nur Verfolgung und Tod. Echter Tod, kein künstlich vorgespiegelter.«
»Genau deshalb sind die Seelenspringer hierhergekommen. Sie suchten einen echten Ort, dem Zugriff der Seelenbewahrer entzogen. Sie fanden die Erde. Wahrscheinlich durch einen Zufall, es muss Millionen anderer Planeten geben, die ebenso geeignet oder ungeeignet sind wie die Erde. Jede von ihnen aber wäre einer Taschenwelt vorzuziehen. Taschenwelten sind geschlossene Welten, genauso wie die Traumwelten auf Sigma V. Sie sind steril, begrenzt. Man kann in tausend Traumwelten leben, mit Tausenden von Männern und Frauen schlafen, die höchsten Berge besteigen, in die größten Tiefen tauchen. Man kann Tausende von Welten erblicken, Tausende von Nachkommen zeugen - es führt einen nirgendwohin. Denn, was immer man tut, wohin immer man geht, man wird immer nur sich selbst begegnen. Man geht im Kreis.«
»Das ist eine pessimistische Auffassung von der menschlichen Seele …«
»Nein, eine realistische. Eine, die auf eigener Erfahrung beruht.«
»Auf einer oberflächlichen. Wenn stimmt, was du sagst, kannst du nicht einmal ein Jahr auf Sigma V gewesen sein.«
»Darf ich mich setzen?«, fragte Ekin. »Mir tun die Beine weh, wenn ich so lange stehe …« Es war ein Test. Ein Schritt zur Seite, ein menschliches Anliegen, vorgebracht von einem schwachen Mädchen. Würde Carmel …?
»Ja«, antwortete der bärtige Mann.
Ekin sank langsam in den Schneidersitz. »Ich war dort für Jahrtausende«, antwortete sie. »Ich habe mehr Leben gelebt, als ich zählen kann. Sigma V war die Befreiung für mich. Anfangs.
Auf Sigma V ist nichts unmöglich. Ich habe ein Forschungsschiff durch die Galaxis geführt, habe Welten betreten, auf die noch nie zuvor ein Mensch den Fuß gesetzt hat, die Sonnenuntergänge von Tausenden Welten gesehen. Ich war eine Visionärin, die die Menschheit in eine neue Zeit führte. Eine Zeit,
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