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Alissa 1 - Die erste Wahrheit

Alissa 1 - Die erste Wahrheit

Titel: Alissa 1 - Die erste Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn Cook
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verhüllte die Sonne. Dann war der schwarze Nebel verschwunden. Bren sank ich sich zusammen, gebrochen und leer.
    Ein sanftes Grollen begann tief in der Erde. Es schaukelte sich auf und ließ den Boden schwanken, als die Erde selbst sich gegen diesen Fluch auflehnen wollte. Mit einem gewaltigen Beben und Krachen stürzten die Tore ein, erschüttert vor Zorn über die Macht des Fluchs gegen jene, die sie einst beschützt hatten. Bren blickte nicht zurück, sondern wandte sich nach Osten, und niemals wieder hat man in Geschichten oder Liedern von ihm gehört.
    Die Stadt blieb unberührt, aber nicht unverändert. Alle, die sich hinter ihren Mauern verborgen hatten, waren zutiefst beschämt und entehrt. Dass sie die Schreie ihrer Verwandten um Gnade und Hilfe nicht erhört und solche Gräueltaten vor ihrer eigenen Schwelle zugelassen hatten, war unmenschlicher als alles, was die Kranken im Wahn ihres fiebernden Verstandes angerichtet hatten – das erkannten sie nun.
    Die Stadt schickte Gesandte in die von der Seuche zerstörten Länder, um zu heilen, was von jenen geblieben war, die sie abgewiesen hatten. Manche sagten, sie wollten damit Brens Fluch entgehen, andere meinten, die Scham hätte sie dazu getrieben. Nach vielen Jahren stand im Tiefland, im Hochland und an der Küste alles wieder zum Besten. Lachen und Lieder waren zu hören, die Narben wurden unter dem Lächeln der Neugeborenen begraben. Auch die Stadt mit ihren hohen Mauern blühte auf und ward einflussreicher und schöner denn je zuvor. Die Bewohner der Stadt waren zufrieden. Doch während die Jahre vergingen und eine neue Generation die alte ersetzte, kam die wahre Bedeutung von Brens Fluch ans Licht, und die Menschen fürchteten sich. Nachdem die Erde sich fünfzigmal um die Sonne gedreht hatte, konnte es niemand mehr leugnen.
    Die Seelen der verängstigten Menschen, die die Mauern errichtet und sich dahinter verborgen hatten, kamen nicht zur Ruhe. Sie lebten im Stillen fort und erfüllten die Nacht mit ihrem zitternden Wesen. Denn noch immer bereuten sie die Entscheidung, die sie vor so langer Zeit getroffen hatten, und sie versuchten selbst im Tode, Wiedergutmachung zu leisten. Aber es war niemals genug, und bis heute streifen sie durch die leeren Straßen ihrer verlassenen Heimat. Denn wer könnte in einer Stadt voller Geister leben, ganz gleich, wie sanft und gütig sie auch seien?
    Und so wurde Amaa zu Amaa der Unschuldigen und Bren zu Bren dem Betrogenen. Der Name desjenigen, der die Mauer erbaute, ist vergessen: Er ist verflucht, und an der Küste, im Tiefland und im Hochland ist er nur unter seinem Titel bekannt. Denn der Stadtvogt glaubte, keine andere Wahl zu haben, und hielt an seinem Glauben fest.«
    Strell ließ den Kopf sinken, und Alissa schloss die Augen, um eine Träne zu verbergen. Diese Geschichte hatte sie als Kind unzählige Male gehört, doch wie üblich erzählte Strell sie so viel besser. Sein kummervoller Blick begegnete ihrem, als sie die Augen wieder öffnete, und sie lächelte schwach. Kralle gab ein zufriedenes, kehliges Zirpen von sich.
    »Das war eine hervorragende Erzählung«, erklärte Bailic, und Alissa erstarrte – sie hatte ganz vergessen, dass er da war. »Sagt mir, wo habt Ihr diese Version gelernt?«
    Plötzlich nervös, beugte Alissa sich über ihre Flickarbeit. Bailic fragte Strell zwar oft nach seinen Geschichten, doch diesmal hörte sie eine besonders drängende Neugier in seiner Stimme. Und sie hatte begonnen, der geringsten Änderung zu misstrauen, wenn es um Bailic ging.
    »Salissa und ich haben sie einander oft erzählt, als wir jünger waren«, sagte Strell leise, und sein leerer Blick wies darauf hin, dass er die Stimmung seiner Geschichte noch nicht abgeschüttelt hatte. »Sie wollte sie immer wieder hören. Das ist eine ihrer Lieblingsgeschichten.«
    Und das stimmte. Sie hatte Strell die Geschichte erzählt, als sie jünger waren – nur drei Wochen jünger, aber jünger. Und Strell wusste, dass dies eine ihrer Lieblingsgeschichten war. Sie hatte ihm erzählt, wie sie früher am Kamin gesessen und trotz des warmen Feuers gezittert hatte, wenn ihr Papa ihr die Geschichte ins Ohr flüsterte und seine Augen im kalten Schatten einer Winternacht düster und furchterregend wirkten. Wenn sie sich vorstellte, wie der von Schmerz gepeinigte Mann an die Tore hämmerte oder die leeren Häuser von Geistern bevölkert wurden, hunderte Jahre später, überlief sie immer ein köstlicher Schauer.
    Bailic beugte sich

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