Alissa 1 - Die erste Wahrheit
deine Kekse fertig sind?«, fragte er und beugte sich vor, um die Suppe umzurühren.
»Nur ein paar Augenblicke. Das Einzige, was noch fehlt, sind deine Bratäpfel.«
»Dann erklären wir die eben zum Nachtisch.« Er sog tief den Dampf aus dem Kochtopf ein und löffelte dann die Suppe in eine große Terrine. Auf dem Weg zum Speisesaal zögerte er, die Terrine vorsichtig in einer Hand, während sie noch einmal nach ihrem Gebäck sah. »Fertig?«
»Fast. Geh nur schon vor. Ich komme gleich.« Alissa lächelte und konnte es kaum erwarten, einen Moment lang allein zu sein.
Mit einem scharfen Nicken und einem fröhlich gesummten Lied auf den Lippen verschwand Strell im Speisesaal. Alissas Kopf fuhr hoch, als sie die Melodie erkannte. Das Lied handelte von einem Mann, der kein Fleisch essen konnte – seine Frau aber schon. Alissa seufzte über diese Spitze gegen ihre fleischlose Ernährung und ließ sich auf den nächststehenden Stuhl fallen. Strell war manchmal ein wenig anstrengend.
Bailics seidenglatte Stimme unterbrach die friedvolle Stille. »Seid Ihr etwa schon müde, meine Liebe?«
Sie sprang auf, fuhr herum und sah seinen hochgewachsenen, reglosen Schatten an einem unbenutzten Tisch stehen. Bei den Hunden des Navigators, dachte sie, wie ist er hier reingekommen? Sie saß doch mit Blick auf den Durchgang zum Speisesaal! Dann fiel ihr der selten benutzte Gang ein, der direkt von der großen Halle in die Küche führte. Aus irgendeinem Grund hatte Alissa ein schlechtes Gewissen, obwohl sie gar nichts Böses getan hatte.
Sie blickte auf und sah rasch wieder weg, als ihr Blick auf die tiefrote Schnittwunde auf seiner Wange fiel. Er trug sie seit dem Tag nach ihrer Ankunft, und sie sah immer noch offen und schmerzhaft aus, eine Woche später.
»Bailic ist noch nicht unten!«, rief Strell vom Speisesaal herüber, und sie spürte, wie sie errötete.
Strells Stiefel lärmten auf dem Boden, als er im Durchgang erschien. Stumm sah er Bailic an und bemerkte dann ihren gesenkten Blick. »Ich erledige den Rest, Salissa«, erklärte er knapp. »Würdest du nach dem Feuer sehen?«
Dankbar schlüpfte Alissa zwischen den beiden Männern hindurch nach draußen. Kralle piepste ihr vom Kaminsims aus freudig entgegen, und Alissa strich ihr im Vorbeigehen über das Gefieder. Sicher in dem großen, leeren Speisesaal, lehnte sie die Stirn an den kühlen Stein einer hohen Fensterlaibung und blickte trübsinnig durch die halb geöffneten Vorhänge nach draußen.
Das Feuer schickte ein schmales Viereck aus Licht in den Kräutergarten. Schnee rieselte sacht und lautlos herab und schuf sanft eine immer dickere Decke über den schlafenden Kräutern und duftenden Gräsern. Es schien, als hörte es hier niemals auf zu schneien. Sie streckte den Finger aus und hinein in den Fensterbann, rief absichtlich dessen zuckende Warnung hervor, um sich abzulenken.
Als sie angekommen waren, hatte sie sich auf den Frühling gefreut und darauf, den großen Garten wieder zu dem zu machen, was er sein sollte – sie war eben eine Närrin, dachte sie säuerlich. Den Mörder ihres Vaters tagtäglich zu sehen war für sie nicht leichter geworden. Alissa schämte sich nicht, zuzugeben, dass sie Strell als Puffer benutzte, eine Aufgabe, die er anscheinend gern übernommen hatte und sehr ernst nahm.
Sie hörte ein leises Scharren, erstarrte und setzte eine nichtssagende Miene auf. Sie drehte sich um in der Erwartung, Bailic zu sehen, und sank erleichtert in sich zusammen, als sie Strell entdeckte. »Ich hasse es, wenn er das tut«, murmelte er nervös.
»Ich auch«, flüsterte sie, als Bailic erschien, Strell dicht auf den Fersen.
Das Abendessen verlief stiller als gewöhnlich. Nur Strell bemühte sich tapfer, dem Abend einen Anschein von Normalität zu verleihen. Alissa wusste, dass er Bailic allmählich genauso verabscheute wie sie, und sie wusste Strells Bemühungen zu schätzen. Sein auffälliges Auftreten erlaubte ihr, im Hintergrund zu verschwinden. Sie hätte sich nie träumen lassen, dass ihr das jemals lieb sein könnte. Doch Strell war ein hervorragender Schauspieler, und als das Feuer schließlich eine angenehme, beständige Wärme ausstrahlte, fragte sie sich sogar, ob er Bailics Gesellschaft nicht genoss. Bailic, das musste sie zugeben, machte sehr gut Konversation und hatte die interessantesten Ansichten und Ideen. Er war scharfsinnig und hatte Humor, denn er lachte gern und laut über Strells Scherze. Alissa konnte verstehen, warum ihr
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