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Alissa 2 - Die geheime Wahrheit

Alissa 2 - Die geheime Wahrheit

Titel: Alissa 2 - Die geheime Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn Cook
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Kammer blieb im Dunkeln. Ihr Zimmer, im Bewahrer-Flur im siebten Stock, war eigentlich das alte Zimmer ihres Vaters. Der Wohntrakt der Bewahrer war einer der wenigen Teile der Feste, die Bailic während seiner jahrzehntelangen Suche nach der Ersten Wahrheit nicht vollkommen ausgeräumt hatte. Er hatte zu Recht befürchtet, in irgendeinen tödlichen Bann zu tappen, den eines seiner Opfer hinterlassen hatte. Dieses Zimmer bot Alissa einen gewissen Schutz, da Bailic nicht über die Schwelle treten konnte. Strell bewohnte das Zimmer nebenan, doch sein Sessel stand vor ihrem Kaminfeuer, wie schon seit ihrer ersten Nacht in der Feste. Abgesehen von einer kurzen Zeit im Herbst, als Bailic den Sessel heimlich mit Hilfe von Seilen herausgeholt und zurück in Strells Zimmer gestellt hatte, um Zwietracht zwischen ihnen zu säen, hatte er stets hier gestanden und Alissa ein herrlich schweres Gefühl von Sicherheit und Stabilität gegeben.
    Kralle schnaufte im Schlaf. Der Vogel war von der Verfolgungsjagd auf Nutzlos mit einem arg zerrupften Schwanz zurückgekehrt. Er hatte fast den ganzen Tag lang erschöpft verschlafen und war nur kurz aufgewacht, um Bailic schwächlich anzufauchen. Bailic war mit Alissas geröstetem Brot nicht einverstanden gewesen und deshalb in ihre Küche eingedrungen. Erst gegen Mittag war er endlich wieder gegangen, mit einer Schüssel Haferbrei in der bleichen Hand: genau die richtige Menge Honig, nicht zu viel Milch und nicht zu wenig und mit Tee statt mit Wasser gekocht, wie man ihn im Tiefland aß, darauf hatte er bestanden. Das hörte sich scheußlich an, doch sie merkte sich diese Kleinigkeit, um Strell eines Morgens damit zu überraschen.
    Bailic hatte sie als nervöses, reizbares Wrack zurückgelassen. Strell brauchte den ganzen Nachmittag, bis sie wieder halbwegs sie selbst war, doch er nahm diese Aufgabe sehr ernst, denn er fühlte sich schuldig, weil Bailic Alissa so ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit widmete. Also besänftigte er ihre aufgewühlten Gefühle, indem er ihr alle ihre Lieblingslieder auf seiner Flöte vorspielte. Bei Sonnenuntergang hatte sie sich schon wieder sehr wohlgefühlt, doch sie durfte jetzt nicht schlafen. Nutzlos würde kommen.
    Strell beugte sich vor, um das Feuer zu schüren. Dann stand er auf und betrachtete schweigend die Flammen. »Hier«, sagte er unvermittelt, griff in die Tasche und holte ein winziges Bündel gelben Stoffs heraus. »Das wollte ich dir noch geben. Eigentlich sollte das ein Geschenk zur Sonnenwende sein, aber ich habe es vergessen. Dann erschien es mir unpassend …« Seine Stimme erstarb. An jenem Tag wäre er beinahe umgekommen, als er Nutzlos aus dem Verlies tief unter der Feste befreit hatte. »Du sollst es trotzdem haben«, fügte er hinzu.
    »Für mich?« Sie strahlte vor Freude, und es machte ihr gar nichts aus, dass das Geschenk einen Monat zu spät kam. »Du hast etwas für mich gemacht?«
    »M-hm.« Er setzte sich auf die Sesselkante und beugte sich vor. »Mach es auf.«
    Er hielt ihr den zusammengefalteten Stoff hin, und Alissa nahm das Bündel, wobei ihre Finger die seinen streiften. Sie blickte auf, um nachzusehen, ob er es bemerkt hatte, und errötete unter seinem wissenden Blick. Sie fragte sich, was er ihr wohl schenken mochte, das so winzig war, und faltete vorsichtig das Tuch auseinander. Darin lag ein daumennagelgroßer Talisman. Er sah aus, als bestünde er aus einem sehr fein gesponnenen, goldfarbenen Faden. »Oh Strell«, hauchte sie verzaubert. »Er ist wunderhübsch!«
    Strell lächelte und blickte offenbar verlegen zu Boden. »Er soll dir Glück bringen«, sagte er und wandte den Blick noch weiter ab. »Das ist ein Glückstalisman. Ich habe ihn aus einer Locke von deinem Haar geknüpft.«
    »Meinem Haar?« Alissas Hand fuhr zu ihrem Kopf, und sie riss überrascht die Augen auf. »Wann hast du –?«
    »Ist schon ewig her«, sagte er hastig und runzelte besorgt die Stirn. »Du hast geschlafen. Es sollte eine Überraschung werden, und wenn so ein Talisman nicht aus Haaren geknüpft wird –«
    »Dann wirkt er nicht«, beendete sie den Satz und lächelte ihn an, um ihm zu zeigen, dass es ihr nichts ausmachte. Es war nun einmal geschehen, und er sollte nicht denken, dass ihr sein Geschenk nicht gefiel.
    Sie hatte noch nie etwas so Exquisites gesehen; immer noch staunend löste sie das Band, das ihr Haar zurückhielt, und strich sich die losen Strähnen ungeduldig aus dem Gesicht. Dann fädelte sie das Band vorsichtig durch den

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