Alissa 2 - Die geheime Wahrheit
hinausflog, würde er sie verlieren – und vermutlich auch sein eigenes Leben.
Langsam überholte er sie in einem großen Bogen und drängte sie nach Osten ab. Sie brüllte frustriert, doch ihr blieb keine andere Wahl. Bald hatten sie wieder Land unter sich und rasten in Richtung der Feste weiter. Sie ließ sich tiefer sinken, zog dicht über dem Boden dahin und schoss über Felsen und um Baumwipfel, um ihm zu entkommen. Talo-Toecan folgte ihr und wurde allmählich zornig. Dies, dachte er kochend, dauerte nun wirklich lange genug.
Er wählte eine höhere Route und wartete auf eine Gelegenheit, hinabzustürzen und sie sich zu packen. Er war schwerer, sagte er sich. Er konnte sie hinabzerren, falls es notwendig werden sollte. Sie schossen über eine Lichtung hinweg, und da der Boden nun frei war, holte er Schwung und stürzte sich auf sie. Sie musste ihn gespürt haben, denn sie wich zur Seite aus, und er bekam nur leere Luft zu packen.
Ihre Flügelspitze knallte auf den Boden, als sie ihren Schwung überkompensierte. Sie kreischte in plötzlichem Schmerz und schoss vorwärts. Talo-Toecan folgte ihr wie ein hungriger Geist seiner Beute. Der nächste Fehler könnte sein letzter sein, doch er würde sie fangen. Sein Spiel mit Kralle, erkannte er nun, zahlte sich wahrlich aus. Wenn er nicht so viel mit ihr geflogen wäre, hätte diese Bestie ihn längst abgehängt.
Sie rasten durch einen schmalen Pass und flogen dann über einen langgestreckten See, dessen anderes Ufer beängstigend schnell näher kam. Talo-Toecan konnte sich ein boshaftes Lächeln nicht verkneifen, als er den klauenbewehrten Fuß ausstreckte. Sie stürzte, und in plötzlichem Entsetzen erkannte er, dass sie untertauchen würde!
Sein Schwanz peitschte mit einem Knall auf das Wasser, als er im letzten Augenblick abbremste. Der Raku, der einst Alissa war, tat das nicht. Sie tauchte so glatt ins eisige Wasser ab, dass es kaum spritzte.
Talo-Toecan fing sich mit einem gewaltigen Knallen seiner Schwingen und schlug dann weiter, um sich über dieser Stelle in der Luft zu halten. Wasser genoss er nur in so kleinen Mengen, dass er sie trinken konnte, und von so etwas hatte er überhaupt noch nie gehört. Die aufgewühlte Oberfläche beruhigte sich, bis selbst die kleinsten Wellen verebbten und nur sein Spiegelbild blieb, das besorgt in engen Kreisen über das Wasser zog. Sie würde sich nicht umbringen, um ihm zu entkommen, versicherte er sich, doch je mehr Augenblicke verstrichen, desto fragwürdiger erschien ihm das.
Er ließ sich noch tiefer sinken, zog langsam über die Stelle hinweg, an der sie verschwunden war, und spähte in die Schwärze. Er konnte nichts sehen, schon gar nicht, als sich die Oberfläche kräuselte und ihm die Sicht nach unten vollends nahm. Kleine Wellen, überlegte er, und seine Augen wurden schmal. Sie konnte doch nicht unter Wasser weitergeschwommen sein, oder? Ungläubig hob er den Kopf und erhaschte gerade noch einen Blick auf ihre Schwanzspitze, die am anderen Ufer im Wald verschwand.
Mit einem frustrierten Brüllen stürzte er ihr nach, und ihr protestierendes Kreischen, als sie sich in die Luft schwang, reizte ihn nur noch mehr. Sie hätte ihn beinahe erneut überlistet. Erzürnt raste er ihr nach, entschlossen, sie zu Boden zu zwingen.
Als die Bestie die Feste entdeckte, flog sie umso schneller. Talo-Toecan ließ sich zurückfallen, weil er dachte, sie wolle dort Zuflucht suchen, und verfluchte dann seinen Fehler, als sie darüber hinweg- und in die Ferne flog. Sie wollte nicht zur Feste. Sie wollte so weit wie möglich davon weg. Er holte sie ein, streckte knurrend einen klauenbewehrten Fuß aus und packte das Erste, was er zu fassen bekam. Es war ihr unglaublich langer Schwanz, und das war vermutlich das Dümmste, was er tun konnte.
Mit einem empörten Aufschrei wendete sie um eine Flügelspitze und prallte so kraftvoll mit den Füßen gegen ihn, dass sie beide vom Himmel stürzten. Zischend vor Schmerz und Überraschung wurde ihm der Atem herausgepresst, und er taumelte und trudelte wild abwärts, da sie sich in ihrer rasenden Wut weigerte, ihn loszulassen.
Talo-Toecan kämpfte darum, ihren Fall zu bremsen und den Angriff abzuwehren. Auch er wollte nicht loslassen und musste einige harte Schläge einstecken. »Lass ab! « , befahl er, ohne daran zu denken, dass sie ihn nicht verstehen konnte. Damit machte er alles nur schlimmer. Ihre Tritte wurden zu grausamen Hieben, ihre Klauen rissen ihm schmerzhaft die Haut
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