Alissa 2 - Die geheime Wahrheit
über die Bäume zu erheben.
Die beiden Menschen wichen ihr geschickt aus, doch sie zogen sich nicht weit genug zurück, als dass sie Platz gehabt hätte. Sie zielte auf den Musikmacher und ließ ihren Schwanz in einem scharfen Bogen herumpeitschen, um ihn zu erschlagen. Im letzten Augenblick überlegte sie es sich anders, und ihr Schwanz zischte harmlos über seinen Kopf hinweg. Sie brauchte ihn nicht zu töten, sagte sie sich, sie wollte ihn nur vertreiben. Also gab sie ihrer Waffe eine andere Richtung und ließ den Schwanz auf einen Felsen knallen, der halb in der nassen Erde versunken war. Er zersplitterte in unzählige Stücke. Das, dachte sie, sollte genügen, um ihm Angst einzujagen.
Doch der Musikmacher harrte aus. Er spielte jetzt wieder, aber das machte keinen Unterschied mehr. Sie wollte fort von hier. An dem Alten kam sie nicht vorbei. Einer der Männer würde also sterben. Sie hatte sie gewarnt. Sie waren selbst schuld, wenn sie sie missachteten. Mit einem wilden Knurren hob sie den Fuß, um denjenigen zu zertrampeln, der die Musik machte.
»Alissa! Nein!«, schrie er und wich taumelnd einen Schritt zurück, als sein Instinkt schließlich doch seinen Willen übermannte. Das war das erste Mal, dass er etwas sagte, und sie zögerte verwirrt. Sie kannte diese Stimme. Aus ihren Träumen. Er stand unter ihrer erhobenen Pranke, zitternd vor Angst, doch er rührte sich nicht. »Bitte, Alissa. Komm zurück zu mir«, flüsterte er.
Sie wich erschrocken zurück. Seine Worte hatten ein unangenehmes Gefühl der Abspaltung hervorgerufen. Sie wich dem Gefühl aus und konzentrierte sich stattdessen auf den Blassen. Dieser, so redete sie sich ein, war die bessere Wahl. Wenn sie den Musikmacher verschonte, würde sie eines Tages vielleicht wieder diese wunderschönen Laute hören.
Nun, da ihre Verwirrung vorüber war, knurrte sie böse und machte sich bereit, den Blassen totzuschlagen. Je länger sie auf dem Boden blieb, desto unsicherer wurde sie. Doch als sie sich ihm zuwandte, veränderte er sich. Seine klaren Augen wurden opak und dunkel, und er strahlte eine bedrohliche Stille aus, die sie bis ins Mark erschreckte. Das war nicht nur ein Mensch. Dieser hier trug den Tod in sich!
»Komm«, forderte der Blasse sie mit lieblicher Stimme heraus. »Wenn du es wagst.«
Sie wich zurück und schnaubte vor Angst. Auch der Alte hatte die Veränderung bemerkt und starrte den Blassen überrascht an. Er fürchtete sich jedoch nicht, und das verlieh ihr neuen Mut. Sie heulte wild auf und schwang ihren Schwanz in weitem Bogen, um ihn wie den Felsen zu zerschmettern.
»So ist es recht«, murmelte der Blasse verführerisch. »Schlag mich. Ich bin für die Herrin des Todes wie ein Bruder geworden; sie hat mir ihre Fähigkeiten geliehen. Geh an mir vorbei oder schlag mich nieder, und ich bringe dich zu ihr. Die Herrin hat dich gezeichnet. Sie wird mir erlauben, dich in ihrem Namen zu holen. Komm … wenn du es wagst.« Der Mann, der Todes Bruder war, winkte sie sanft heran, und seine Augen glitzerten schwarz.
Sie bäumte sich ungeschickt auf und wich zurück. Irgendwo in ihrem Innern rief seine Einladung eine Antwort hervor, und sie wusste, dass seine Worte wahr waren. Sie war gezeichnet, die Herrin des Todes erhob Anspruch auf sie. Sie konnte sich beinahe daran erinnern, wie das geschehen war. In völliger Panik knallte sie ihren Schwanz zwischen sich und ihm auf den Boden, eine entschiedene Weigerung. Sie würde ihn weder berühren noch versuchen, an ihm vorbeizukommen.
Der Mann, der ihren Tod in sich trug, kam nicht mehr näher, sondern blieb geduldig stehen. Die Herrin des Todes konnte es sich leisten, großzügig zu sein; sie gewann immer.
Sie wandte sich zu dem anderen Mann um. Nein, dachte sie verzweifelt, ihm konnte sie nichts tun, doch sie verstand nicht, warum. Sie wollte endlich fort und sah nun den Alten an. Er knurrte böse und schlug mehrmals mit dem Schwanz auf den Boden, so dass die Erde erzitterte. Sie brauchte mehr Platz, um an ihm vorbeizuschlüpfen. Der Musikmacher würde für ihre Freiheit sterben.
Muss fliegen, dachte sie. Muss frei sein. Mit hin und her schlängelndem Kopf stürzte sie sich auf die unbedeutende Gestalt. Er schnappte mit weit aufgerissenen Augen nach Luft, als sie eine Handbreit vor ihm landete und zornig fauchte. Die Flöte fiel ihm aus den Fingern, und zitternd streckte er eine Hand aus, um sie zu streicheln.
»Bitte, Alissa«, flehte er. »Das muss aufhören.«
Bei seiner
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