Alissa 2 - Die geheime Wahrheit
Küchenbrunnen fischte, doch es gab da eine Schwierigkeit. »Ich weiß nicht, wie so etwas aussieht – nicht so genau«, beendete sie den Satz leise für sich. Alissa starrte auf die leere Tunnelöffnung und überlegte, ob sie ihm folgen und ihn fragen sollte. Aber dann entschied sie, dass sie eine Töpferscheibe wohl erkennen würde, wenn sie eine sah.
Sie glitt von ihrem Sitzplatz auf einem Ballen Leinen und ließ den Blick durch einen der Lagerräume unterhalb der Feste schweifen. Dieses unterirdische Nebengelass allein war vier Stockwerke hoch; von den umlaufenden Galerien der oberen Etagen blickte man auf einen zentralen Arbeitsbereich hinunter. Der hohe, schmale Raum wurde durch Schlitze in der fernen Decke beleuchtet, die so geschickt platziert waren, dass möglichst viel Licht hereinfiel und reflektiert wurde. Es war hell hier, wenn auch nicht unbedingt warm, denn auf den Fenstern lagen keine Banne.
Ein wenig niedergeschlagen schlenderte sie zu den üppigen Ledervorräten der Feste hinüber. Sie würde bald nach Strells Scheibe suchen, doch zuerst wollte sie ein Stück Leder finden, um sich einen neuen Hut daraus zu machen. Selig stand sie knietief zwischen den prächtigen, weichen Häuten, als sie ein leises Scharren hörte – Strell war zurückgekehrt. Vielleicht hatte er seinen Eimer bereits aus dem Brunnen gefischt und war zurückgekommen, um ihr zu helfen. »Strell?«, rief sie laut ins Erdgeschoss hinab, das sie von hier aus nicht sehen konnte. »Wie sieht denn eine Töpferscheibe genau aus?« Doch es war Bailics Stimme, die zu ihr heraufschallte, und sie erstarrte.
»Weißt du das etwa nicht?«, fragte er mit glatter, spöttischer Stimme. »Dein Mangel an Bildung ist wahrlich schauderhaft. Doch selbst du solltest wissen, dass so etwas nicht bei den Stoffen zu finden sein wird.«
Alissas Wangen wurden heiß. Sie trat ans Geländer und spähte zu Bailic hinab, der ungefähr in ihre Richtung emporstarrte. Seine schwarze Meisterweste betonte seine blasse Haut. »Guten Tag, Bailic«, sagte sie zurückhaltend. Sie beruhigte sich mit der Hoffnung, dass er rasch wieder gehen würde. Ohne Strell, der Bailic stets von ihr ablenkte, fühlte sie sich beinahe nackt.
Er orientierte sich an ihrer Stimme, um sie zu finden, sah sie an und nickte langsam. Stumm drehte er sich um und ging an den Fliegenschutz-Fenstern und Fässern voll Lumpen vorbei auf die großen Wandschränke dahinter zu. »Ich kann mir zwar nicht vorstellen, was du mit einer Töpferscheibe anfangen willst«, erklärte er, »aber wenn du mir hilfst, das zu finden, was ich suche, dann sage ich dir, wo eine ist.«
Die Weigerung lag ihr heiß auf der Zunge, doch sie zögerte, als er die offenbar schmerzenden Augen wieder ihr zuwandte. Sie waren rot gerändert von der hellen Sonne, und er kniff sie zusammen. Ein Hauch Mitgefühl keimte in ihr auf. Doch es war die Versuchung, Strell nicht eingestehen zu müssen, dass sie nicht wusste, wie eine solche Scheibe aussah, die sie schließlich dazu brachte, ihn zu fragen: »Was sucht Ihr denn?«
Bailic rieb sich die tränenden Augen und öffnete den Schrank, der Stapel von gebundenem Papier enthielt. »Hochwertigstes Papier. Darauf trocknet die Tinte schneller.« Er berührte einen Stapel Papier beinahe zärtlich, nahm ein Blatt heraus, knüllte es plötzlich zusammen und riss es dann mittendurch. Seine Augen schlossen sich, als er an der Risskante schnupperte. »Zweitklassig«, murmelte er kaum hörbar. »Das erkennt man am Geruch.« Mit leisem Flüstern fielen die beiden Fetzen zu Boden.
»Wenn ich Euch erstklassiges Papier beschaffe«, fragte sie, »sagt Ihr mir dann, wo ich eine Töpferscheibe finde?«
»Ja«, antwortete er gedehnt und nahm ein zweites Blatt in die Hand. Es erlitt das gleiche Schicksal wie das erste, und zwei weitere halbe Seiten flatterten zu Boden.
Alissa zog ihr Schultertuch fester um sich und stieg ins Erdgeschoss hinab. »Also gut«, willigte sie ein.
»Abgemacht und abgemacht«, sagte Bailic und zog die Hand zurück, die nach einem weiteren Stapel gegriffen hatte. Stoisch wartete er, bis sie vor ihm stand. »Dieses Brett«, sagte er und tippte mit dem Finger auf ein leeres Schrankbord. »Hier habe ich sonst immer welches gefunden. In das Brett ist ein Symbol eingeritzt. Siehst du es?«
Alissa trat nur widerstrebend näher, denn sie wollte nicht so dicht bei ihm sein. »Ja«, sagte sie. Die schwachen Zeichen waren zu dünn, als dass Bailic sie hätte sehen können, und zu
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