Alissa 2 - Die geheime Wahrheit
willst, wirst du eine Menge Holz brauchen.«
Er stand mit den Händen in den Hüften da und sah zuversichtlich und glücklich aus. »Ich brauche nur etwa einmal in der Woche ein Feuer.« Er sang leise vor sich hin, spähte in den Küchenbrunnen hinab und lauschte dem Echo seiner Stimme.
»Da unten ist vermutlich gar kein Wasser«, unkte sie in der Hoffnung, dass er seinen neuesten Zeitvertreib wieder aufgeben und mit ihr in die warmen oberen Stockwerke zurückkehren würde. Strell griff nach dem angeknacksten Eimer, der an einem noch älter aussehenden Seil hing. Trotz ihrer finsteren Stimmung wurde Alissa neugierig, und sie hüpfte vom Tisch, was ihr dank der dünnen Sohlen ihrer weichen Schuhe eine harte Landung bescherte. Ihre Köpfe berührten sich beinahe, während sie und Strell in die schattige Tiefe des Brunnens starrten. »Vorsichtig«, mahnte sie. »Dieses Seil sieht stellenweise schon ziemlich dünn aus.«
»Unsinn«, rief er, als das leise Platschen zu ihnen drang, mit dem der Eimer auf Wasser traf. »Das hält schon. Außerdem werdeich ihn nicht füllen. Ich wollte nur wissen, was da unten ist.« Er ignorierte ihre zweifelnd hochgezogenen Augenbrauen, bediente die große Kurbel und zog den Eimer hoch. Das durchdringende Quietschen des uralten Flaschenzugs schien ihren Kopf spalten zu wollen, bis ein deutliches Schnappen zu hören war, gefolgt von einem noch lauteren Platschen.
»Äh … oje.« Strell starrte betrübt hinab in die Tiefe. Alissa lachte auf und schlug dann verlegen die Hand vor den Mund. Das war eigentlich gar nicht komisch.
»Ach, Strell«, sagte sie hastig. »Das tut mir leid.« Doch er spähte noch immer in den Brunnen und schien sie nicht einmal lachen gehört zu haben.
Kralle landete auf Strells Schulter und flötete ihm ins Ohr. »Sand und Wind«, seufzte er und betrachtete das zerfranste Ende des Seils. »Jetzt muss ich mir einen Haken suchen.«
Alissa sank in sich zusammen, als sie sich endlich eingestand, wie viel ihm das hier bedeutete. Es wäre sehr selbstsüchtig von ihr, ihm nicht zu helfen. »Ich weiß, wo wir einen anderen Eimer finden«, sagte sie.
»Nein. Ich sollte diesen herausholen, sonst wird er da unten verrotten und den Brunnen verseuchen.« Seufzend spähte er in das schwarze Loch. »Bei den Hunden. Ich wollte heute unbedingt eine Töpferscheibe suchen. Jetzt muss ich erst Angler spielen.« Eine dunkle Hand fuhr durch seinen Schopf brauner Locken, als er zur Decke aufblickte, um festzustellen, wie viel Tageslicht ihm noch blieb.
»Ich mache dir einen Vorschlag«, erklärte Alissa fröhlich. »Ich suche dir eine Scheibe und auch ein neues Seil.«
»Nein, schon gut«, sagte er. »Ich weiß, dass es dir hier unten zu kalt ist. Ich werde sicher irgendwo finden, was ich brauche. Warum gehst du nicht lieber Tee trinken?«
Ihre Augenbrauen hoben sich, die Mundwinkel sanken herab. Sie wusste nicht recht, wie sie das auffassen sollte. Es hörte sichherablassend an. Strell blickte auf, als er ihr Schweigen bemerkte, las in ihrer Miene und fügte hastig hinzu: »Nur zum Aufwärmen! Du kennst dich in den Kellern besser aus als ich. Du könntest alles, was ich brauche, bestimmt schneller finden, aber du, Alissa« – er beugte sich vor und tippte mit dem Zeigefinger leicht gegen ihre Nase –, »siehst halb erfroren aus.«
Alissa blinzelte überrascht und lächelte dann, weil sie sich über seine Aufmerksamkeit freute. »Wie wäre es, wenn wir uns beide auf die Suche machen? Wenigstens, bis wir einen Haken und ein Seil gefunden haben.«
Strell stieß sich vom Brunnen ab und ging zum Tunnel. »Gebrauchtlager?«
»Kurzwaren«, behauptete sie zuversichtlich, als sie die Küche verließen. Kralle blieb zurück und spähte in den Brunnen hinab. Strell summte vor sich hin, und Alissa lächelte, als der letzte Rest ihres Zorns verflog – sie hatte sich darüber geärgert, dass seine Aufmerksamkeit nicht länger ihr allein gegolten hatte. Aber er war nicht mehr so gut gelaunt gewesen seit … seit … Sie zögerte. Sie hatte ihn überhaupt noch nie so glücklich gesehen. Und wer weiß? Ihre Mutter hatte sich schon immer einen Satz dieser genau ineinanderpassenden Hirdun-Schüsseln gewünscht. Vielleicht konnte Alissa ihr jetzt einen beschaffen.
– 5 –
W arte! Strell?«, rief sie, doch er war schon gegangen, Seil und Haken über eine Schulter gehängt. Sie hatte sich bereiterklärt, ihm eine Töpferscheibe zu suchen, während er seinen Eimer aus dem
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